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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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nicht dieser gewesen war, sondern jener ...
    »Haben Sie an ihm etwas Auffälliges bemerkt? Ein besonderes Kleidungs- oder Schmuckstück vielleicht?«
    »Ja. Er trug es um den Hals – ein Medaillon mit einem Heiligen drauf!«
    »Unser zweiter Freund!«, sagte Jérôme.
    »Sie haben schon merkwürdige Freunde!«
    »Nun ja, ein wenig burschikos mag er zuweilen sein«, meinte Jérôme.
    »Burschikos?«, fuhr sie auf. »Ich würde eher sagen: Er war reif für die Irrenanstalt!«
    »Was hat er denn getan, dass Sie so hart über ihn urteilen?«, fragte ich.
    »Er wollte, dass wir ein Spiel spielen.«
    »Ein Spiel? Genügte ihm denn das hier übliche Spiel nicht?«
    »Er brauchte eine nicht gerade alltägliche Anregung. Ich denke, darüber sollten selbst gute Freunde nicht zu viel wissen. Sie wollen doch sicher seine Freunde bleiben, oder etwa nicht?«
    Normalerweise benutze ich meinen Adel nicht dazu, andere einzuschüchtern. Hier aber schien es mir geboten, um weiterzukommen:
    »Mach dir darüber keine Gedanken, Schätzchen! Ich bin die Marquise de Lalande, eine gute Freundin unserer Königin. Wenn ich etwas wissen will, dann erfahre ich es für gewöhnlich, weil derjenige, der mir etwas verschweigt, sonst von höherer Stelle zum Öffnen seines Mundes ermuntert wird. Also heraus mit der Sprache: Was spieltet ihr beiden?«
    Für einen Augenblick blitzten ihre Augen und ich fürchtete schon, unser netter Dialog hätte sein vorzeitiges Ende gefunden. Doch da senkte sie den Blick.
    »Ihre Sache, damit umzugehen. Er hatte ein Handbeil bei sich – so eins, wie Schlächter sie haben. Erst dachte ich, er wollte mir damit wehtun, und schrie. Er hielt mir die Hand auf den Mund, ganz sanft, ohne mich zu verletzen: eine riesige, starke Hand an einem unglaublich muskulösen Arm. Sein Rücken war so breit wie ein Schrank und sein Hals so dick wie ein Baumstamm. Seine Brust wölbte sich wie ein Schrankkoffer, in den man zu viel gepackt. Er sagte: Dummchen, mach dich nicht lächerlich! Du sollst mich ein bisschen mit der Klinge kitzeln, nichts weiter. Wenn du versuchst, mich umzubringen, bin ich schneller, ich versprech’s dir. Wenn du tust, wie du sollst, zahl ich dir das Doppelte. Du hast sicher auch Gelüste, die du mit deinem Anteil allein nicht stillen kannst! Sicher, jeder hat etwas, was er begehrt und wonach er sich verzehrt. Kommt die Gelegenheit, es zu erlangen, zögert der Kluge nicht lang. Ich halte mich für schlau genug, meine Chance nicht zu verpassen, und da war sie.
    Gute Düfte sind teuer und ich liebe doch nun mal nichts mehr ...«
    Das verstand keine besser als ich.
    »Wo haben Sie ihn ... gekitzelt?«, fragte ich.
    Sie deutete auf priapische Gefilde und grinste.
    »Die Klinge war so scharf, dass ich ihn hätte rasieren können. Er nahm mir das Beil weg und liebte mich wie ein Bauernbursche von zwanzig, dabei war er bestimmt schon über vierzig ...«
    Ich sah zu Jérôme hin, der mit seiner Verlegenheit kämpfte und die Augen mit der Hand bedeckte. Sollten wir diese Methode vielleicht auch einmal versuchen? Ich wäre die Letzte, die sich Innovationen verschlösse, ganz gleich, auf welchem Gebiet – solange sie eine Steigerung der Lebensqualität befördern.
    »Das Medaillon! Wie sah es aus?«
    »Es baumelte und tanzte auf meinen Brüsten, sank zwischen sie, lag unter der einen, dann hob es sich und stand mir direkt vor Augen. Es war aus punziertem Gold und hatte am gezackten Rand kleine Brillanten. Der Heilige Hieronymus als Gelehrter war eingraviert, ich sah es am Totenschädel, der vor ihm lag.«
    Damals habe ich mich nur über diese Detailkenntnis gewundert und gefreut. Später habe ich erfahren, dass viele ihres Gewerbe gläubige Katholikinnen sind.
    Draußen vor der Tür war es laut geworden. Man hörte Schritte, Stimmen, Aufschreie. Ich öffnete die Tür einen Spalt und blickte hinaus. Der Raum leerte sich. Ich trat hin-aus und fragte einen der Eiligen:
    »Was gibt’s?«
    »Mord, Süße, Mord!«, war die Antwort.
    Sie hielten mich (ohne Bart) für eine aus dem Bernard’schen Haus!
    Der Weg nach unten war beschwerlich. Nur weil ich eine gelenkige Frau war, kam ich so rasch vorwärts. Ich sah zuerst nur die Folgen dessen, was die anderen gesehen: Männer, die um Fassung rangen, was selten siegreich für sie ausging. Frauen sah ich, die am Rande der Verzweiflung an anderen Frauen oder Männern oder irgendetwas, das Halt bot, hingen. Wer immer vor mir in die Kammer am Ende eines kleinen Korridors seitlich des

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