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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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uns zu unternehmen, zeigte sich fernes Wetterleuchten. Ein Kuckuck rief in den sich bauschenden Rotbuchen und ein Grünspecht hüpfte lachend über den Boden und stocherte in einem kleinen Ameisenhaufen, bevor er abflog, bunt wie ein Papagei.
    »Der lacht uns aus!«, sagte Adelheid von Yssel, eine hohe, schlanke Frau mit einem harten, schmalen Kopf, schwarzem Haar, stechenden grünen Augen und einer Vogelnase.
    »Keine Spur, meine Liebe!«, bestritt die Königin sogleich diese abseitige Vermutung. »Der freut sich unseres Anblickes!«
    Es war ein in so mannigfacherlei Hinsicht verbotenes Tun für uns Frauen – aber das machte es so wunderbar tull und varucky , wie Luise sich hinreißend und treffend auszudrücken beliebte. Wer nun zufällig, unter dem noch immer strahlend blauen Himmel, unseren Reigen auf der dunkelgrünen Wiese gesehen hat, wird sich die Augen gerieben und an himmlische Erscheinungen gedacht haben. Hätte uns dagegen der König so vorgefunden, er hätte uns von der grasbestandenen Lichtung weg verhaften lassen: Angetan mit Pantalons, mit kurzärmeligen Männerhemden und Sandaletten glichen wir sowohl einer Elfen- als auch einer Räuberbande. Ich war mit meinen fünfzig Jahren die Älteste, Luise mit ihren 34 mit die Jüngste. Doch ich spürte keinen Unterschied zwischen uns, was die unbändige Lust an der Bewegung betraf. Ich hatte, im Einklang mit Lulu und Leo, ein kleines Compendium verfasst, in dem die Statuten, aber auch die Ziele des Vereins niedergelegt waren, die wir mit unserem Tun verfolgten: Bekämpfung des Phlegmas, Förderung der Durchblutung, Kult der Schnelligkeit.
    Wir bekämpften die Steifheit zunächst durch einfache Lockerungsübungen. Wir liefen erst eine Weile im Kreis, dann warfen wir uns Bälle zu, probierten auch ein wenig den Federball – hatten aber zu wenig Schläger und nur schlecht gefiederte Lederkugeln, sodass wir diese Art des Sports rasch wieder aufgaben. Das Bockspringen machte reichlich Spaß, nachdem das Etiketteproblem der Paarübungen dahingehend gelöst wurde, dass Luise nur mit Friederike zusammen sprang. Ein Walzer zur Auflockerung, den wir gemeinsam summten und uns dazu drehten – Luise und Friederike das reizendste Paar –, dann einige Übungen, die ich den Griechen und Türken abgeschaut hatte: recken und strecken, Ballwerfen in einen Zielkorb, zur Seite und nach vorne biegen, sich wie ein Kreisel drehen und ein Rad schlagen.
    »Pause! Liebe Freundinnen, Pause!«, keuchte die Königin mit hörbar schwer gängiger Atmung. »Die Fahrt gestern war anstrengend! Ich fürchte, ich muss heute früher schlafen gehen. Dann werde ich bei unserer nächsten Zusammenkunft eine bessere Figur machen.«
    »Sie vergessen die Cour, Majestät!«, unkte die Yssel und die Königin stöhnte auf: Alle Adeligen des Landes warteten darauf, ihr die Hand zu schütteln.
    »Danach muss ich zur Kur«, sagte die Gebeutelte.
    Der Himmel hatte sich deutlich verdüstert. Dunkelblaue Gewitterwolkengebirge türmten sich über dem Heidenholz und wir mussten kichern, als Friederike bemerkte:
    »Die Schnecke Voß und die lahme Krähe Truchseß – jetzt kommen sie unterm Strohhut ins Schwitzen! Erst finden sie uns nicht und dann überrascht sie mitten in der Wildnis das Unwetter!«
    Die Furcht der Gräfin Voß vor Gewittern war sprichwörtlich und die Frau von Truchseß hätte bei ihrer Hüftbeladung einen Ehrenplatz in unserem Kreise verdient gehabt.
    Wir waren reichlich erschöpft, als wir dieses Pensum absolviert und zum Standardablauf der künftigen Clubtreffen erklärt hatten. Ich blickte in die geröteten Gesichter und war mit Stolz gewiss, dass in jedem der Hemdkrägen die eine oder andere Schweißperle versickerte.
    »O Gott, wie fürchterlich!«, rief Caroline von Berg plötzlich und blieb wie angewurzelt stehen, die schreckgeweiteten Augen auf einen Punkt am Boden geheftet.
    »Der abgebissene Kopf einer Ringelnatter«, sagte ich. »Wahrscheinlich hat hier oben im Baum ein Greif seine Mahlzeit gehalten!«
    »Ringelnattern sind schöne Schlangen«, sagte Hermine und ich stellte mir vor, wie das Eulchen selbst einer Schlange den Kopf abbiss.
    »Apropos«, forschte die Königin mit pfeifendem Atem, »was ist mit der furchtbaren Geschichte? Sind Sie ihm auf der Spur?«
    Sie sah fragend in die Runde, ob jemand etwas gegen das Thema hätte, doch alle waren voll der Neugier. Nur Hermine machte Anstalten, sich die Ohren zuzuhalten, doch die Frau von Yssel zog sie auf:
    »Mit

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