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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Vogel-Strauß-Politik erreichen Sie gar nichts, meine Teuerste! Sich den Tatsachen stellen – nur so kommt man weiter!«
    »Ich weiß nicht, ob ich hier ...?«, fragte ich unsicher, denn es ist zwar nur ein übles, von Männern verbreitetes Gerücht, dass Frauen mit Geheimnissen einen anderen Umgang pflegen, doch mir war trotzdem mulmig zumute, als mich die Königin ermunterte fortzufahren. Befehl war und ist nun einmal Befehl – dennoch bemühte ich mich, in meinem Rapport unter Vereinskameradinnen so allgemein wie möglich zu bleiben:
    »Eine Spur, die vielleicht ins Ausland führt ...«
    »Ins Ausland?«
    18 Augen starrten mich an, die beiden toten Augen der Ringelnatter mitgerechnet.
    »Frankreich?«
    »England?«
    »Italien?«
    »Frankreich oder Spanien, vielleicht auch unsere Exklave Neuenburg ...«
    »Neuchâtel! Ach, ich liebe es!«, sprudelte Adelheid von Yssel heraus und Lulu fragte sie gleich:
    »Was lieben Sie mehr – die Menschen oder die Landschaft?«
    »Eigentlich mehr die Luft: Sie ist wie Champagner!«, antwortete Adelheid.
    »Und Sie? Waren Sie schon einmal in Neuenburg?«, fragte Luises Schwester Friederike die so scheu tuende Hermine von Schwerin.
    »Ein Mal. Ich liebe es wegen seiner geistigen Zirkel. Rousseau war dort. Und die Charrière. Ich korrespondierte mit ihr, doch sie starb, bevor ich ihr begegnen konnte. Ich traf ein, als sie ... ach, es war so schrecklich!«
    Sie hielt sich die Ohren zu, obwohl sie ja selbst sprach. Manchmal verhielt sie sich sehr drollig.
    »Ich war unschlüssig, wohin ich gehen sollte, da hörte der Pfarrer von Colombier von meinem Unglück und lud mich ein, sein Gast zu sein. Jonas de Gélieu war der gütigste und vollendetste Gastgeber – und der geistreichste und gelehrteste Seelsorger, dem ich jemals begegnete!«, schwärmte Hermine.
    »Salomé!«, riefen Luise und Friederike wie aus einem Mund. »Die Schwester des Pfarrers war unsere Gouvernante! Wir stehen ständig im Briefwechsel mit ihr! Oh, es ist wahr – ihr Bruder ist ein Schatz!«
    »De Gélieu?«, fragte ich erstaunt. »Eines der Opfer hieß de Gélieu: Robert de Gélieu, ein englischer Raketenpionier. Gebürtig aus Rouen.«
    »Das ist mir gar nicht aufgefallen!«, sagte die Königin betroffen. »Vielleicht ein entfernter Verwandter der Neuenburger Gélieus?«
    »Er war ein Liebhaber der Literatur«, sagte ich.
    »Ich war zu dieser Zeit ebenfalls einmal in Neuenburg«, verkündete Lulu. »Es war nach dem Tod der Charrière. Auch ich war bei dem berühmten Pfarrer und Rosenzüchter zu Gast. Er zeigte mir eine Rosa abyssinica. Ich muss gestehen, ich liebe Rosen und gedachte damals, mir eine Sammlung anzulegen. Immerhin ist es einfacher, Rosen zu sammeln als ... Schädel.«
    »Der Göttinger Professor Blumenbach sammelt menschliche Schädel – vielleicht arbeitet der Mörder für ihn?«, mutmaßte Caroline von Berg.
    »Keine schlechte Idee – doch soweit ich weiß, erhält er die Stücke seiner Sammlung stets freiwillig von den Spendern. Es sind ausschließlich bekannte Köpfe«, antwortete Lulu.
    »Woran ist die Charrière eigentlich gestorben?«, fragte ich, denn ich fand, dass die Unterhaltung aus dem Ruder geriet.
    »Sie ist gestorben worden ...«, sagte Ludwigia von Kapell und schlug sich sogleich die Hände vor den Mund. »Meine Güte, es ist so offensichtlich und ich kam nicht darauf.«
    »Worauf?«, fragte ich erstaunt.
    »Sie wurde auf die gleiche Weise ermordet wie alle anderen, von denen wir hier sprechen!«, sagte Ludwigia. »Ich las es in der Zeitung. Es war im Jahr vor Auerstedt. Mein Mann nahm an ihrem Kreis teil. Man suchte die Spreu vom Weizen zu trennen. Das Schlechte in der Literatur sollte unterdrückt, das Gute befördert werden. Es war eine merkwürdige Art von literarischem Adel, den die Charrière zu züchten sich bemühte. Selbst die Herkunft war von Bedeutung. Ich erinnere mich, dass eines der jungen Talente, die ihre Proben vortrugen, einer Familie entstammte, die der Charrière nicht genehm war. Sie hatte teils seltsame Vorurteile, die nicht immer der aufklärerischen Haltung entsprachen, die sie nach außen hin zu demonstrieren sich bemühte.«
    »Meine Liebe, es ist interessant, doch ich muss Sie bitten, sich kurz zu fassen. Da kommt etwas auf uns zu!«, flehte die Königin.
    Das Gewitter hatte sich genähert und der Himmel war nachtschwarz. Es hatte plötzlich zu donnern und zu blitzen begonnen.
    Dann fing es möglicherweise im Neuenburgischen an? In Colombier? Warum?

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