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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Weshalb? Ich fragte es mich in Gedanken und die Widmung für den geköpften Körne in den Lettres Neuchâteloises fiel mir wieder ein.
    »Wer ist Belle van Zuylen?«, erfrechte ich mich trotz der königlichen Intervention noch zu fragen.
    »Das literarische Pseudonym der Isabelle de Charrière!«, sagte Lulu, als wenn das jeder gewusst hätte außer mir.
    Mit einem Kreischen wurden die ersten schweren Tropfen quittiert. Ich sah, wie Hermine sich von der Gruppe entfernte und im Fortlaufen rief:
    »Ich kann es nicht ertragen! Verzeiht mir, ich muss ins Schloss!«
    Wir erfrischten uns dagegen mutwillig, indem wir uns an den Händen fassten und noch einen Reigen im Regen tanzten.
    »Ein Hasenherz!«, sagte die Königin und ich spürte, dass ihr Hermines Verhalten sehr zuwider war. Sie mochte es nicht, wenn jemand aus der Reihe tanzte, während mir erst später aufging, dass hinter ihrer Flucht mehr steckte ... Dennoch, jetzt wurde es uns zu viel – die dicken Tropfen vereinten sich zur Sintflut!
    Der Wind frischte böig auf und auf einmal tanzten Hagelkörner so groß wie Riesenbrombeeren auf dem geplätteten Wiesengras. Man spürte plötzlich die Kälte vom Boden aufsteigen. Im Gänsemarsch liefen wir zur kleinen Orangerie hinterm Gärtnerhaus, wo wir uns (des Herzogs treuer alter Gärtner Laube war unser Verbündeter) zuvor umgekleidet hatten. Auf den wenigen Schritten Wegs wurden wir bis auf die Haut durchnässt. Sturm brauste auf, abbrechende Äste schlugen neben und zwischen uns ein – einer traf Adelheid, doch sie wehrte ihn behände ab wie einen mürben Angreifer. Die Eisbonbons trommelten brennend auf unsere Köpfe, Schultern und Waden. Schnatternd kamen wir ins Glashaus, wo das Geklicker der dicken Körner gegen die Fenster bedrohlich anschwoll. Scheiben barsten, Glas hagelte herein. Doch wir waren in Sicherheit. Ich schnatterte vor Kälte zu sehr und konnte nur an die toten Augen der Schlange denken, sodass die Gedanken wie unter einem Berg Hagelkörner begraben lagen. Die Königin wurde von der Schwester ins Schloss begleitet. Wir Übrigen schleppten uns in unsere Zimmer im Kavaliershaus.
    Wenn ich heute davon erzähle, so mag es die eine oder andere meiner jungen Leserinnen nicht glauben – doch es war so, wie ich es sage: Alle meine Gedanken waren bei der Königin! Was immer sich auch Neues ergeben haben mochte – es verblasste und wurde unbedeutend hinter der Sorge, die mich ergriff, als ich hörte, dass Luise sich schlecht fühle.
    Am nächsten Tag traf der König ein und sah bestürzt, dass es ihr nicht gut ging. Sie hatte sich für ihn en beau frisieren lassen, klagte aber über starke Kopfschmerzen. Wohl war sie guter Dinge. Das neue dunkelblaue Seidenkleid, das wir Freundinnen ihr gemeinsam genäht und geschenkt hatten, erfreute sie. Auf der Schlosskoppel saßen alle, Königin und König, der Herzog, Schwester Friederike, die Brüder Karl und Georg, die Hofmeisterin von Voß, Gräfin Truchseß und auch wir Freundinnen, auf weitem Rasenplan, von einem schattenspendenden Eichenwald umschlossen, beim Tee. Der König war verstimmt: Ohnehin uns nahen Freundinnen nicht immer grün, da wir seine Frau in ihrer Tollheit noch unterstützten, gab er seinem Wunsch deutlichen Ausdruck, dass man abreise. Nur Caroline von Berg und ich durften bleiben. Abends beim Souper hustete die Königin. Die ganze Nacht sah ich die Hagelkörner fallen, fühlte den klammen, eiskalten Stoff auf der nackten Haut. Ich erwachte nassgeschwitzt.
    Als die Königin gegen Mittag aufstand, ging es ihr besser. Lachend berichtete sie beim Essen von ihren unruhigen Träumen, in denen der Dichter Kleist ganz alleine Napoleon besiegt habe: in einem Wettkampf, bei dem es darauf angekommen war, in einer gewissen Zeit so vielen Ringelnattern wie möglich den Kopf abzuschlagen ... Ein seltsamer Traum, dachte ich und mir irrten wieder die abgeschlagenen Köpfe der Mordopfer durch meinen eigenen, der noch fest oben saß – wie Überblendungen von Bildern, die man in der Laterna magica zugleich einschiebt.
    Doch das Husten der Königin, das plötzlich stärker als am Vorabend die Ärmste erneut überfiel, bewirkte, dass alles wieder erstarb. Heiter dennoch und gesprächig, wollte sie sich nach Tisch ausruhen und verzichtete auf die Bewegung. Ich nutzte die Gelegenheit, Seiner Majestät auf einem ausgedehnten Spaziergang, bei dem nur die unmäßig ertaubten Ohren der Voß uns begleiteten, die neuesten Einsichten darzulegen.
    »Die Charrière –

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