Das spanische Medaillon
Richard Bogue ein, der Chef der englischen Raketentruppe, die eben noch in Spanien operierte. Bald hofften wir ihn willkommen heißen zu können, um die Postrakete in Großbeeren zu erproben:
»Richards Einheit war zuletzt bei der zweiten Rückeroberung Saragossas dabei. Man sollte den spanischen Militärattaché in London bitten, einen Brief an ihn weiterzuleiten!« Große Hoffnungen knüpfte ich nicht daran, formulierte aber zwei Fragen, von deren Beantwortung ich mir einen Fortschritt versprach. Jérôme schmierte etwas zusammen, das man kaum Brief nennen kann; doch immerhin: Das Ding ging ab und die Botschaft, so krude sie mein Gemahl auch eingepackt, machte sich am 15. April nach Spanien via Portugal auf den Weg. Ob die Nachricht den Adressaten überhaupt rechtzeitig vor dessen Abreise in unsere Richtung erreichen würde, war ungewiß.
quintidi, 25. Germinal XVIII
(Ach, ist es nicht wunderbar,
wie das moderne Volk, dem ich entstamme,
die Zeitrechnung vereinfacht hat?)
Mein lieber Richard,
wir alle hier in Kanzow hoffen, dass Ihr den roten Schlafmützen da unten in Portugal kräftig einheizt! Wär ich nur ein paar Jahre jünger – ich stünde neben Dir, mein Bester! Nun, auch ich bin nicht müßig und denke, unsere Testraketen mit den von Dir zuletzt noch angemerkten Veränderungen werden rechtzeitig fertig. Sei unbesorgt: Der Mörder Roberts wird gerächt werden – es ist scheints eine persönliche Sache zwischen ihm und seinen Opfern. Du kannst also ohne Sorge im Juli zu uns kommen, so der Himmel es nicht anders verhängt haben wird. Die Polizei und meine allerliebste Frau Kriminaldirektorin in spe wünschten sich brennend zwei Fragen beantwortet. Ich weiß, dass Du andere Aufgaben und Sorgen hast. Fühl Dich nicht gedrängt, sondern schieß erst einmal in Ruhe ein paar Raketen auf Napoleon ab, wenn er wieder auf den verrückten Einfall kommt, die unbesiegbaren Spanier bezwingen zu wollen. Napoleon? Das ist der kleine Dicke mit der großen Zielscheibe (Kokarde) auf dem Halbmondhut! Wenn Du mit allem anderen da unten fertig bist, dann frag halt mal nach, in Cádiz, Madrid, Barcelona, bevor Du Dich in die Rakete hierher setzt ... Gerardine wäre überglücklich! Und ich ebenso!Vinceremos, Dein Jérôme
(nein: nicht Bonaparte! , sondern:) de LALANDE
PS: 1) Was hat der alte Felipe Gomez auf der Zitadelle in Barcelona angestellt – es muss im letzten Jahrhundert gewesen sein –, dass ihn selbst eingefleischte Abdecker und äxtewetzende Nach- oder Scharfrichter nicht mehr kennen wollen? 2) Was ist über die Nachkommen eines Fernando Gomez aus Barcelona/Cádiz/Madrid bekannt und über die Wege seiner Kinder und Kindeskinder, Kindeskindeskinder usw. usf. – leben heut’ noch welche, und wenn ja, wo? Falls nicht, ist es zum Glück sowieso egal ...
Ungeachtet der eigenen Bemühungen bat ich den König, eine Anfrage an die betreffenden Kleiderkammern der Regimenter richten zu lassen: Waren die preußischen Uniformen, die der Mörder getragen hatte, zuvor irgendwo gestohlen worden? Freilich machte ich mir hier noch weniger Hoffnung als bei Jérômes Versuch. Auf einem Schlachtfeld an Uniformen heranzukommen war ein Kinderspiel und Schlachtfelder hatte es in den zurückliegenden Jahren so viele gegeben. Ob er gar Soldat der Grande Armée war? Oder überhaupt kein Soldat? Es würde wohl, so glaubte ich damals, für immer ein grand Geheimnis bleiben.
Zwei Monate können im Flug vergehen. Die negativen Nachrichten der Kleiderkammern wurden ad acta gelegt. Von Schlechtendal hatte keine neuen Erkenntnisse. Aus Spanien kein Zeichen. Inzwischen hatte der französische Gesandte, St. Marsan, eine stillschweigende Billigung der Rückkehr Hardenbergs erwirkt – Napoleon hatte Marie-Louise von Österreich geheiratet, und das ungleiche Räuberpaar brauchte Geld für die Flitterwochen ...
Am 4. Juni wurde der sechzigjährige Hardenberg vom König zum Staatskanzler ernannt. Zuletzt hatte er noch gezögert, da Hardenbergs Bedingung, Altenstein und Nagler zu entlassen, ihm nicht gefiel. Auch der Hardenberg’sche Rückzieher bezüglich Humboldt, dem im neuen Kabinett das Außenministerium zugedacht war, brachte Verzögerung. Überhaupt – Hardenberg als Retter der Staatsfinanzen! Ein stets geldbedürftiger, hoch verschuldeter Lebemann, der sich sein Gehalt selbst bewilligen konnte – das nenne ich den Bock zum Gärtner machen! Aber er hat sich zurückgehalten: Er hätte schließlich gleich alles aus der Staatskasse nehmen
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