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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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und damit abhauen können. Stattdessen bezog er das bescheidene Gut Tempelberg, eine Gründung der Templer bei Steinhöfel.
    Als ich dies in Kleists Abendblättern las, musste ich an meine ersten kriminalistischen Exkursionen denken – da in dieser Uckermärker Wildnis, eine Stunde entfernt im Blumenthal, war ich zu kultischen Steintischen durch die Heckenrosen geschlichen und mit Heim zu den Templergräbern in Tempelhof. 1 Doch ich schweife ab. So ging es mir fast dauernd in diesem an handfestem Tun armen Juni.
    Erst die Einladung der Königin beendete meine unproduktive Langeweile. Nachdem sie im April trotz der schweren Erkrankung der kleinen Luise den Truppenübungen in Potsdam hatte beiwohnen und den Mai und den halben Juni mit der Gewöhnung des Kronprinzen an seinen neuen Erzieher Ancillon hatte zubringen müssen, konnte sie jetzt den Termin für die heiß ersehnte Ferienreise zu ihrem Vater nach Mecklenburg verkünden: Am 25. Juni 1810 sollte es losgehen! Ob ich noch immer einen Frauenturnclub ins Leben rufen wolle? Jetzt sei die Zeit der Tat gekommen. Für zehn Freundinnen sei Platz im Kavaliershaus von Hohenzieritz. Passende Kleidung sei zu entwerfen. Da gab es freilich kein Zögern mehr.
     
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    1 Goldblond. Verheerende Torheit. Berlin 2005

20
    Hohenzieritz! Wer es nicht kennt, dem kann ich’s kaum beschreiben. Ein sommerliches Lustschlösschen in einer verwunschenen Gegend. Die Schwalben rudern schwätzend über den Himmel, Kranich und Storch stolzieren auf der Wiese. Abends gaukelt die Fledermaus um die Eichen, die Ziegenmelker plärren, und wenn man durch die würzig duftenden Felder streift, um in warmer Luft den Sonnenuntergang zu genießen, zirpen die Grillen, purren die Rebhühner und ticken die Wachteln: Pickperwick! Pickperwick!
    Der Tross der Familie und der Hofdamen war mit der Vorgabe abgelenkt worden, dass man sich auf einen ausgedehnten Spaziergang ins Rosenholz begeben wolle. Unversehens und knapp ward dies vor dem tatsächlich erfolgenden Aufbruch ausgestreut. Wir begaben uns aber auf verschlungenem Weg zur Schlossmauer zurück und warteten, beobachteten dann amüsiert, wie Luises Brüder Karl und Georg, die Großmutter, Prinzessin George, die Hofmeisterin Gräfin von Voß und die Gräfin Truchseß darauf in völlig falsche Richtung talwärts eilten und vermeinten, unsere Verfolgung aufzunehmen.
    Die Königin, befriedigt über das gelungene Täuschungsmanöver, strahlte in die Runde. Es blickten sie etwas bänglich, indessen zuversichtlich an: ihre Schwester Friederike, die etwas steifen guten Freundinnen Caroline von Berg und Adelheid Edle von Yssel, gefolgt von der noch immer vor ihrer eigenen Courage erschrockenen Hermine von Schwerin (dem inzwischen todsicher heimlich verlobten Eulchen – so was sehe ich einfach!), die unerschrockene Leo von Blüthen, die über jede Abwechslung frohe Anna Ludwigia von Kapell, die lebenslustige Lulu Edle von Lilienstein-Silves sowie meine Wenigkeit. Ich war stolz, diesen Verein in aller Eile zusammengetrommelt zu haben, als denn klar wurde, dass die Sommertour der Königin ins Mecklenburgische zu Vater Karl endlich stattfinden würde. Das kleine Sommerschlösschen des Herzogs, ein echtes maison de plaisance , war der ideale Ort für unser verschwörerisches Experiment!
    Die Königin liebte das Spiel, war eine Freundin der Tollheit und des verrückten Tuns und nutzte noch immer jede Gelegenheit, der Etikette-Voß und auch ihrem Mann eins auszuwischen, der die guten Freundinnen seiner Gattin mit unerklärlicher Eifersucht verfolgte. Friewi hätte nie seine Zustimmung gegeben, wenn er schon dort gewesen und das Sagen gehabt. Doch in Hohenzieritz waren wir gebetene Gäste des Herzogs und sahen uns vor die Aufgabe gestellt, zur Unterhaltung seiner Tochter beizutragen. Mein privates Ziel war davon im Grunde nicht verschieden: Die körperliche Ertüchtigung sollte durchaus auch kurzweilig sein, dieses Ziel hielt ich mir bei der Abfassung der Statuten für die Freundinnen der Bewegung stets vor Augen. Der erste deutsche Frauenturnverein, von dem sich der unselige Jahn später manches für seine langweilige Männertruppe abschaute, sollte Freude und guten Effekt für den Körper verbinden.
    Unweit des Schlosses, rechter Hand am Berg, lag eine kleine verborgene Waldwiese, die wir – einer Idee Friederikes folgend, die das Gelände genauestens kannte – zu unserem Turnplatz erkoren. Als hätte es der Himmel bemerkt und als beratschlagte er noch, was gegen

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