Das Spiel
wieder mussten sie sich ducken, um durch dichte Büsche zu kriechen. Hier hatte schon lange niemand Axt an die Bäume und das Unterholz angelegt. Zweige zerrten an ihrem roten Top. Ihre nackten Knöchel wurden von Dornen zerkratzt. Sie bückte sich und schob vorsichtig einen Zweig zur Seite, stolperte weiter durch den Wald.
»Du glaubst doch nicht, dass die uns hier durchlotsen, um uns in den Wahnsinn zu treiben? Ich meine, das wäre doch albern, oder nicht?« Debbie war weiß im Gesicht, als Julia sich zu ihr umdrehte.
»Ich hab keine Ahnung.« Julia zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist das ihre Art, uns willkommen zu heißen.«
»Aber man sieht nur noch Bäume! Was für eine Art von Party soll das denn werden? Ich will endlich ankommen!« Debbie legte den Kopf in den Nacken und starrte zum Himmel.
Nein, nicht zum Himmel, denn der war verschwunden, wie Julia feststellte. Stattdessen sah sie nur Baumwipfel. Wie lange waren sie bereits unterwegs?
Julia dachte an die andere Nacht, die ihr Leben veränderte, und an Robert, der in der Dunkelheit schluchzte. Das Kribbeln auf ihrer Haut kam nun nicht mehr nur von den Tannenzweigen, die ihre Arme streiften. Aber trotz allem, es war kein Vergleich. Ihr Körper fühlte sich normal an. Nicht wie abgestorben. Eher gespannt und erregt.
»Vielleicht gibt es hier Dämonen oder Monster?«, flüsterte Debbie, die wieder stehen geblieben war. »Sie wollen uns unsere Geheimnisse entreißen.« Sie lächelte Julia auf eine sonderbare Weise zu, plötzlich mehr amüsiert als ängstlich. Und mit einem Mal konnte Julia das Gefühl nicht mehr loswerden, dass Debbies Getue auch ein bisschen Show war.
Julia machte den Mund auf, um zu fragen, welche Geheimnisse Debbie wohl haben könnte. Doch dann riss sie sich zusammen. »Ja«, erwiderte sie betont lässig und ging weiter. »Die Monster und Dämonen sind im zweiten und dritten Collegejahr und heißen …« Fast hätte sie gesagt: »Loa.loa.«
»Wo sind Monster?«, hörten sie Benjamin. »Cool! Ich liebe Horrorfilme!«
»Der nervt mit seiner Kamera«, fauchte Debbie und folgte Julia, die schon weitergegangen war. »Außerdem glaube ich, er ist schwul!«
»Benjamin?«
»Wie kommst du denn jetzt darauf?«
»Keine Ahnung!« Debbie fuhr sich durch die Haare. »Ich denke mir gerne Geschichten aus, weißt du. Über die Leute. Aber auch sonst. Wenn ich mir vorstelle, an einem verwunschenen Ort zu sein, denke ich nicht an zu Hause. Wo kommst eigentlich du her?«
Aus der Vergangenheit, hätte Julia am liebsten gesagt, doch Chris ersparte ihr die Antwort. Er war vor ihnen stehen geblieben.
»Was ist los?«, fragte Julia.
»Hier!«
Er deutete auf einen Zaun vor ihnen.
»Es geht nicht weiter?« Debbie verfiel wieder in diesen jammernden Tonfall, den sie bis zur Perfektion beherrschte. Sie schien nur eine Taste drücken zu müssen.
»Aber dort drüben ist wieder eins der Zeichen!« David deutete auf einen Baum jenseits des Zaunes, wo an einem Ast deutlich sichtbar ein schwarzes Band hing.
»Na toll«, sagte Rose und strich sich über die Glatze. »Ich hab schon öfter von diesen dämlichen Mutproben am College gehört, aber mir war nicht klar, dass die so kindisch sein können.«
Insgeheim musste Julia ihr recht geben. Der Zaun war über zwei Meter hoch, aus dichtem grünem Maschendraht, ohne jede Tür. Sie konnte kein Ende entdecken. Ein Schild hing in Brusthöhe mit der Aufschrift: »Sperrgebiet. Unbefugter Zutritt verboten«.
»Von den Sperrgebieten rund um den See hab ich gelesen«, sagte Rose. Man hörte an ihrer Stimme, wie unbehaglich ihr zumute war. »In den Hausregeln steht, dass es den Studenten strengstens untersagt ist, sie zu betreten.«
»In den Hausregeln steht viel«, sagte Benjamin spöttisch. »Auch, dass die Freshmen um elf zurück in den Apartments sein müssen.«
»Ich verstehe echt nicht, was das soll«, sagte Julia und blickte unschlüssig am Zaun entlang.
»Ich schon. Reine Schikane. Und ein Test dazu.« Das kam von David.
»Oder sie wollen uns einfach nur fernhalten«, murmelte Chris.
»Wovon?«, fragte Debbie ängstlich.
»Von der Wahrheit!«, flüsterte Benjamin, und im nächsten Moment hörte Julia einen Aufschrei und gleich darauf Debbies hysterische Stimme. »Mann, Benjamin, lass das!«
»Ich habe nichts getan!«
»Du hast deine Hand auf meine Schulter gelegt!«
»Ich? Nein! Ich muss meine Kamera halten und, ehrlich gesagt, deine Schulter reizt mich nicht im Geringsten!«
»Irgendwer hat
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