Das Spiel
dir bin.« Sein Blick verdüsterte sich. »Julia, ich muss das jetzt einfach wissen. Hast du was mit David?«
Sie starrte ihn an. »Mit David?«
»Na ja, gestern Abend am Bootshaus und dann heute Morgen im Flur … ach, ich weiß auch nicht.« Er strich sich verlegen die Haare aus der Stirn. »Ich weiß nur, dass es mich verdammt wütend macht, wenn du mit ihm Spaß hast, ihn anlächelst und nicht mich. Immer wenn du mit ihm zusammen bist, siehst du fast glücklich aus. Dabei weiß ich, dass dich irgendetwas quält. Irgendetwas ist da hinter deiner Fassade …«
Sofort wurde ihr Atem wieder hektischer. Das hier war Chris! Der Chris, der sie am See gesehen hatte, als sie ihr Handy wegwarf! Der Chris, der Anspielungen machte, von denen er nichts wissen konnte!
Vertraue keinem! Nein! Niemandem!
»Da ist nichts.« Julia schüttelte verzweifelt den Kopf und schloss die Augen. »Lass mich in Ruhe!«
»Aber ich habe recht, oder? Du hast etwas erlebt, worüber du nicht sprechen willst.« Seine Stimme war ruhig und eindringlich. »Julia, vielleicht tut es gut zu erzählen, was mit dir los ist.«
Ihr Körper verkrampfte sich. Plötzlich schrie alles in ihr, es ihm zu sagen. Es fühlte sich richtig an, so verdammt richtig. Bei ihm wäre es gut aufgehoben.
Sie biss die Zähne zusammen. »Nein«, murmelte sie, »du bildest dir da irgendeinen Schwachsinn ein.«
Er ließ sie einfach los und erhob sich.
Im gleichen Moment setzten die vertrauten Geräusche des Waldes wieder ein. Der Wind in den Bäumen, das leise Knacken von Ästen. Dazu Stimmengewirr, ganz nahe. Sie hörte Benjamin und Alex, aber sie konnte nicht verstehen, was sie sagten.
Und dann stand Katie wieder vor ihr, als sei sie nie verschwunden gewesen.
»Wo warst du?«
»Nirgends.«
»Aber du warst plötzlich weg!«
»Ich war nicht weg!« Die Koreanerin wandte sich ab. »Sondern du! Ich habe dich gesucht!«
»Chris! Julia! Katie? Wo seid ihr?« Das war die panische Stimme von Rose. Sie klang, als ob sie fast neben ihnen stehen würde, obwohl von ihr selbst nichts zu sehen war.
»Hier.« Chris blickte sich um.
Im nächsten Moment sahen sie, wie Rose die Böschung erklomm. Atemlos machte sie vor den Freunden halt. Ihr schönes Gesicht war vor Schreck ganz verzerrt.
»Wir haben Angela gefunden!«, keuchte sie.
»Wo?«, fragte Chris.
»Da unten.« Sie deutete hinter sich.
»Lebt sie noch?«
Rose konnte nichts erwidern. Sie schüttelte einfach den Kopf.
*
Julia starrte hinunter auf den Lake Mirror. Auf den ersten Blick schien alles völlig normal. Alex kniete am Ufer, genau wie Benjamin, der filmte, während David mit seinem Handy telefonierte. Robert saß auf einem Stein und sah ihnen entgegen. Er war leichenblass.
Julia stolperte mehr die Böschung hinunter, als dass sie rannte. Chris war ihr dicht auf den Fersen.
Plötzlich stellte sich Debbie ihnen in den Weg. »Sie liegt da unten im Wasser!«, schrie sie hysterisch. »Schrecklich! Ich kann einfach nicht hinsehen!«
Benjamin rief ihnen zu: »Da! Seht ihr? Da unten! Der Rollstuhl! Ich glaube, ich erkenne die Räder! Sie drehen sich! Wahnsinn! Ganz tief unten!«
Julia bewegte sich zuerst. Chris versuchte, sie an der Schulter festzuhalten.
»Du willst das wirklich sehen? Wieso?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie.
Das Wasser glänzte im letzten Sonnenlicht und kein Windhauch bewegte die Oberfläche des Lake Mirror. Das Ufer fiel hier steil ab – fast wie eine Felskante. Und obwohl der See bestimmt acht oder mehr Meter tief war, konnte man direkt auf den Grund blicken – das Wasser war glasklar.
Benjamin hatte recht. Julia konnte deutlich sehen, wie sich ein silbernes Rad langsam auf dem Grund des Spiegelsees drehte. Doch als sei das noch nicht bizarr und absurd genug, nahm Julia eine leise Bewegung wahr.
Gräser bewegten sich hin und her, fast als ob sie tanzten.
Nein, es waren keine Gräser, sondern Haare.
Lange Haare, die wie Fäden, wie unzählige Nervenfasern das Wasser durchzogen.
»Oh Gott«, flüsterte sie. »Seht ihr das? Angelas Haare.« Irgendwo im hintersten Winkel ihres Gehirns registrierte sie, dass Chris’ Arme sie festhielten, während Alex auf den Knien lag und sich übergab. Ein Stein löste sich und stürzte ins Wasser. Der Körper des Mädchens, unter ihnen auf dem Grund des Sees liegend, verschwamm und war nicht mehr zu erkennen.
»David! Wann kommt denn endlich Hilfe?« Debbie blickte hysterisch zu David, der sein Handy zuklappte.
»Hilfe?« Chris
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