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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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ließ Julia los und steckte seine Hände tief in die Taschen seiner Jeans. »Hier gibt es keine Hilfe mehr.«
    Seltsamerweise empfand Julia Chris’ Worte nicht als pietätlos. Die Art und Weise, wie er damit umging, diese Mischung aus Sachlichkeit, Distanz und leisem Sarkasmus, beruhigte sie. Als wolle Chris ihr damit zu verstehen geben, dass dieser Tod sie nicht betraf. Sie hatte das Mädchen kaum gekannt. Die Schritte, die jetzt folgten, würden keinen Einfluss auf ihr Leben nehmen.
    »Du meinst, sie ist wirklich tot?« Debbie schien es nicht zu begreifen. Konnte man tatsächlich so dumm sein?
    »Glaubst du etwa, sie taucht dort unten?« Julia konnte sich nicht beherrschen.
    Chris sagte: »Sie ist toter als tot. Und ich möchte nicht dabei sein, wenn jemand sie herauszieht. Es gibt nichts Schlimmeres als den Anblick einer Wasserleiche.«

Kapitel 20
    Der nächste Tag war trüb und grau, doch das schien zu den Ereignissen zu passen. Auf dem Ghost lag mehr Schnee als noch am Tag zuvor und durch den Nebel schienen die weit entfernten Bäume nichts als dunkle Bleistiftstriche auf weißem Papier.
    Das Mädchen am Felsen war nur ein Spiel gewesen, aber Angela, Angela Finder war im See ertrunken – nicht weit von dem Ort entfernt, wo sie Party gemacht hatten.
    Der Sicherheitsdienst hatte das Ufer abgeriegelt und die Studenten zum College zurückgeschickt, während die State Police Angelas Leiche barg. Sie hatten sie, wie Debbie herausfand, mit dem Hubschrauber nach Vancouver geflogen. Und Debbie fragte allen Ernstes jeden, ob er den Leichenhubschrauber gesehen hätte und ob dieser schwarz wie ein Bestattungswagen gewesen sei.
    Es gab ziemlich viele Spekulationen am Grace. Von Unfall über Selbstmord bis Mord schien alles möglich. Bisher hatte es noch keine offizielle Stellungnahme aus dem Büro des Dekans gegeben, außer dass man sich nicht im Uferbereich aufhalten sollte, um die Arbeit der State Police nicht zu behindern, die über die mittlerweile geräumten Straßen ins Tal gekommen war. Ein- oder zweimal lief die Polizei durch das Gebäude und am Morgen hatte der Dekan durch den Lautsprecher seine Anweisungen verkündet. Eine Stimme, bei der Julia jedes Mal ein Schauer über den Rücken lief, wenn sie laut und blechern durch das alte Gebäude hallte:
    Die Seminare finden heute wie gewohnt statt.
    Jeder, der etwas über den Vorfall weiß, ist verpflichtet, sich bei seinem Jahrgangsleiter zu melden.
    Jeder Student ist zur Wahrheit verpflichtet.
    Bitte helfen Sie der Polizei, wo Sie können – aber behindern Sie nicht ihre Arbeit.
    Irgendwie war es da kein Wunder, dass sich am Grace die absurdesten Gerüchte breitmachten. Es wurde über einen wildgewordenen Rollstuhl, dessen Elektrokontakte die Kontrolle übernommen hatten, genauso spekuliert wie über die Variante eines verrückten Serienmörders, der in den Wäldern des Tals lebte.
    Aber im Grunde genommen warteten alle Studenten nur darauf, dass sie endlich erfuhren, was wirklich geschehen war. Und so herrschte am Samstagmorgen eine angespannte Ruhe, als Professor Brandon den Saal betrat.
    Julia fand es eine Ironie des Schicksals, dass sie ausgerechnet wieder Philosophie hatten. Wie passend, schoss es ihr durch den Kopf.
    Aber anstatt mit ihnen über Angela Finders Tod zu sprechen, verhielt sich der Dozent so, als sei nichts geschehen. Er begann den Unterricht vielmehr wie am Tag zuvor.
    »Nun, über welche existentielle Frage möchten Sie heute diskutieren?«, fragte er. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, marschierte er vorne auf und ab. Ike hatte den riesigen Kopf gehoben und beobachtete ihn aufmerksam, als würde er verstehen, was Brandon sagte.
    Es war Rose, die sich ohne zu zögern meldete. Sie saß in der ersten Reihe, hatte weder ihren Schreibblock geöffnet noch einen Stift vor sich liegen. Sie trug Jeans und eine Bluse, die zu ihrem Namen passte. Die kurzen Stoppelhaare, die langsam nachwuchsen, wirkten wie der Flaum eines Kükens und sie war ungewöhnlich blass.
    »Ja, Miss Gardner?«
    »Gibt es ein Recht auf die Wahrheit?«
    Professor Brandon sah Rose einen Moment lang nachdenklich an und wandte sich dann an die anderen Studenten. »Was meinen Sie?«
    Jemand rief: »Das kommt darauf an, wie immer!«
    »Worauf?«, fragte Brandon.
    »Auf die Umstände«, erklärte Debbie.
    »Nehmen wir an, es ginge um Leben und Tod!« Es war erstaunlich, wie energisch Rose trotz ihrer weichen Stimme klang.
    Julia wurde heiß. Leben und Tod. Lüge und

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