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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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umfasste das Bündel so vorsichtig, als enthielte es etwas Lebendiges und möglicherweise Gefährliches. Das Mädchen erstarrte zwischen den Impulsen, sich hinzubeugen und ängstlich zurückzuweichen. Als Barrick den fleckigen Stoff auseinandergefaltet hatte, musterte sie den Inhalt verblüfft.
    »Eine Statue«, sagte sie schließlich fast schon enttäuscht. Die Statue war etwa so groß wie eins der Eichhörnchen im Palastgarten, wenn es aufrecht saß, aber das war auch die einzige Ähnlichkeit mit etwas Alltäglichem: Die Figur, deren Gesicht eine Kapuze fast ganz verhüllte, war aus Wolkensplitterkristall, an manchen Stellen grauweiß und trüb wie milchiges Eis, an anderen so klar und leuchtend wie farbiges Glas, in Tönen von hellstem Blau bis zum Rosa von Fleisch oder verwässertem Blut. Die kräftige, gedrungene Gestalt hielt einen Hirtenstab, und auf ihrer Schulter saß wie ein zweiter Kopf eine Eule. »Das ist Kernios.« Sie hatte die Figur schon mal irgendwo gesehen und streckte die Hand aus, um sie zu berühren.
    »Nicht!« Barrick zog die Figur weg und schlug den Stoff wieder darum. »Sie ... sie ist böse.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich weiß nicht. Ich ... ich hasse sie.«
    Sie sah ihn neugierig an, dann fiel es ihr plötzlich wieder ein. »Oh, nein! Barrick, ist das ... ist das die Statue aus der Erivorkapelle? Die, wegen der sich Vater Timoid so aufgeregt hat, als sie plötzlich weg war?«
    »Als jemand sie
gestohlen
hatte. Das hat er immer wieder gesagt.« Röte stieg Barrick ins Gesicht, ein harter Kontrast zu seiner Blässe. »Er hatte recht.«
    »Zoria bewahre uns, hast
du ...?«
Er sagte nichts, aber das war Antwort genug. »Oh, Barrick, warum?«
    »Ich weiß nicht. Ich sag doch, ich hasse sie. Ich hasse es, wie sie aussieht, so blind und stumm. Als ob sie einfach nur ... denkt. Und wartet. Und ich spüre es immer, aber am schlimmsten ist es, wenn ich in der Kapelle bin. Spürst du's denn nicht?«
    »Was?«
    »Es ... ich weiß nicht. Es ist heiß. Macht mir ein heißes Gefühl im Kopf. Nein, das ist nicht richtig. Ich kann's nicht sagen. Aber ich hasse das Ding.« Sein kleines Gesicht war jetzt wieder grimmig entschlossen, blass und ernst. »Ich werfe es in den Festungsgraben.«
    »Das kannst du nicht machen! Die Statue ist wertvoll. Sie ist schon so lange in unserer Familie, seit ... Ewigkeiten.«
    »Mir egal. Jetzt wird sie nicht mehr in unserer Familie sein. Ich kann's nicht mal ertragen, sie anzuschauen.« Er starrte Briony an. »Denk dran, du hast es versprochen, also kannst du's keinem sagen. Du hast einen Schwur geleistet — einen Blutschwur.«
    »Natürlich sag ich's keinem. Aber ich bin trotzdem der Meinung, dass du es nicht tun solltest.«
    Er schüttelte den Kopf. »Mir egal. Und du kannst mich nicht davon abhalten.«
    Sie seufzte. »Ich weiß. Keiner kann dich von irgendwas abhalten, Rotschopf, und sei es noch so was Dummes. Ich wollte ja nur sagen, du solltest sie besser nicht in den Graben werfen.«
    Er starrte unter grimmig zusammengezogenen Brauen hervor. »Warum?«
    »Weil sie den manchmal ablassen. Weißt du nicht mehr, wie sie's vorletzten Sommer getan haben und dabei auf die Gebeine dieser ertrunkenen Frau gestoßen sind?«
    Er nickte langsam. »Merolanna wollte uns nicht hinlassen — als ob wir noch Babys wären! Ich war ja so wütend.« Er schien sie jetzt erstmals als echte Komplizin zu betrachten und nicht mehr als Gegnerin. »Das heißt, wenn ich die Statue in den Graben werfe, wird man sie eines Tages finden. Und wieder in die Kapelle stellen.«
    »Genau.« Sie überlegte. »Du solltest sie ins Meer werfen. Von der äußeren Mauer, hinter der Ostlagune. Dort geht das Wasser direkt bis an die Mauer.«
    »Aber wie soll ich das machen, ohne dass es die Wachen mitkriegen?«
    »Ich kann dir sagen wie, aber du musst mir was versprechen.«
    »Was?«
    »Versprich's einfach.«
    Er schaute misstrauisch, aber offenbar hatte sie seine Neugier geweckt. »Meinetwegen, ich versprech's. Also, wie kann ich sie von der Mauer werfen, ohne dass es die Wachen sehen?«
    »Ich gehe mit. Wir sagen, wir wollen dort rauf, um die Möwen zu zählen oder so was. Die halten uns doch sowieso alle für Kinder — sie werden gar nicht weiter drauf achten, was wir tun.«
    »Wir
sind
doch auch Kinder. Aber was nützt es, wenn du mitgehst? Runterwerfen kann ich sie auch allein.« Er blickte kurz auf seine verkrümmte linke Hand. »Bis ins Wasser kriege ich sie leicht. Sie ist nicht so schwer.«
    »Es

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