Das Spiel Der Götter 13. Im Sturm Des Verderbens
eigenen Körper in eine solche Gestalt verwandeln konnten, wie Silchas Ruin. Waren das hier, hatte sie sich anfangs gefragt, alles Wechselgänger? Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass die Antwort nein lautete.
Dies hier waren echte Drachen, und Silchas Ruins grässliche geflügelte Gestalt war nichts weiter als ihre Nachäffung. Der es an Majestät fehlte. An Reinheit.
Die Knochen und Flügel waren nicht durch Gewalt, sondern vom Alter zerschmettert worden. Keines dieser Wesen lag im Tode lang ausgestreckt da. Keines wies klaffende Wunden auf. Sie alle hatten ihre letzte Haltung selbst angenommen.
» Wie Schmeißfliegen auf einem Fenstersims«, hatte Udinaas gesagt. »Die auf der falschen Seite waren und versucht haben rauszukommen. Aber das Fenster ist zugeblieben. Für sie, vielleicht für alle und alles. Oder … vielleicht eben doch nicht für alles.« Und dann hatte er gelächelt, als ob der Anblick ihn erheitert hätte.
Sie hatten das Tor, das offensichtlich ihr Ziel war, schon aus großer Entfernung gesehen, und es hatte tatsächlich den Anschein, als würden die toten Drachen ringsum immer zahlreicher werden, je näher sie ihm kamen. Die Flanken des Torbogens waren hoch wie Türme, und so dünn, dass sie skelettartig wirkten, während der Bogen selbst in sich verdreht schien, wie ein riesiges Spinnennetz, das um einen toten Zweig gewickelt war. Dieser Rahmen umschloss eine graue, glatte Mauer, die einen schwachen Wirbel zu bilden schien - der Weg in eine andere Welt. Wo, wie ihnen mittlerweile allen klar war, die Überreste von Scabandaris Seele zu finden waren - von Vater Schatten, dem Verräter. Blutauge.
Seren Pedac hatte den Eindruck, dass die leblose Luft faulig wirkte, als würde unermessliche Trauer jeden Atemzug in dieser Sphäre beflecken, ein trostloser Duft, der auch nach zahllosen Jahrtausenden nicht verblassen wollte. Es machte sie krank, saugte ihr die Kraft aus den Gliedern, aus ihrem Verstand. So beängstigend das Portal da vor ihr auch war, sie sehnte sich danach, sich durch die graue, formlose Barriere zu kämpfen. Sehnte sich nach einem Ende von dem hier. Von allem.
Es gab einen Weg, davon war sie überzeugt - es musste einfach einen Weg geben -, durch Verhandlungen die rasch näherrückende Auseinandersetzung zu überstehen. War dies nicht ihre einzige Begabung, die einzige Fähigkeit, die sie sich zugestand?
Drei Schritte vor ihr gingen Udinaas und Kessel; die kleine Hand des Mädchens ruhte in seiner viel größeren, viel zerschlageneren. Dieser Anblick - den sie im wahrsten Sinne des Wortes die ganze Zeit, seit sie an diesem grimmigen Ort angekommen waren, vor Augen gehabt hatte - war noch eine weitere Quelle von Kummer und Unbehagen. War nur er in der Lage, alle seine Alpträume beiseitezuschieben, um dieses einsame, verlorene Kind zu trösten?
Vor langer Zeit, ganz am Anfang dieser Reise, hatte Kessel sich dicht an Silchas Ruin gehalten. Denn er war derjenige gewesen, der durch den sterbenden Azath zu ihr gesprochen hatte. Außerdem hatte er Eide geschworen, sie und das aufkeimende Leben, das zu ihr zurückgekehrt war, zu beschützen. Und daher hatte sie ihren Wohltäter genau so bewundernd angesehen, wie man das unter diesen Umständen von einem Findelkind erwarten konnte.
Aber jetzt war es nicht mehr so. Oh, Seren Pedac sah genug kleine Gesten, die die alte Loyalität unterstrichen, die Fäden, die diese beiden so unterschiedlichen Lebewesen miteinander verbanden - der gemeinsame Geburtsort so wie die kostbare Erkenntnis, was Einsamkeit bedeutete, die Entfremdung von allen anderen. Aber Silchas Ruin hatte … mehr von sich gezeigt. Hatte auf seine kalte, gleichgültige Weise eine atemberaubende Brutalität zu erkennen gegeben. Oh, und wie sehr unterscheidet sich das von Kessels Geschichten darüber, wie sie in Letheras Leute umgebracht hat? Wie sie ihr Blut getrunken und ihre Körper an den hungrigen, bedürftigen Boden des Azath verfüttert hat?
Dennoch, Kessel zeigte keines dieser Bedürfnisse mehr. Dadurch, dass sie ins Leben zurückgekehrt war, hatte sie ihre alte Lebensweise aufgegeben, war mit jedem Tag, der vergangen war, mehr und mehr einfach ein junges Mädchen geworden. Ein Waisenkind.
Die wieder und wieder die endlosen Streitereien und das Gezänk ihrer Adoptivfamilie miterlebt hatte. All die unbestrittenen Drohungen, einschließlich des Todes. Ja, das ist es, was wir ihr gewährt haben.
Und Silchas Ruin steht wohl kaum über all diesen Dingen, oder?
Aber
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