Das Spiel der Götter 14: Die Stadt des blauen Feuers (German Edition)
»Ich weiß ja nicht, wie’s euch beiden geht, aber bei den Göttern hienieden, im Moment fühle ich mich gerade ziemlich alt.«
Ein Sergeant der Wache näherte sich ihnen. »Wie schlimm ist es da drin?«
Niemand schien darauf erpicht zu sein, ihm zu antworten.
Sechs Straßen entfernt, eine Welt entfernt, stand Schlitzer im Vorhof eines Ladens, der Grabsteine und Fassaden für Krypten verkaufte. Eine Ansammlung stilisierter Gottheiten, von denen bis jetzt noch keine einen Tempel hatte, ersuchten um Segen für die zukünftigen Toten. Beru und Brand, Soliel und Nerruse, Treach und der Gefallene, der Vermummte und Fanderay, Hund und Tiger, Eber und Wurm. Der Laden war geschlossen, und er betrachtete Steine, die noch unbearbeitet waren und auf die Namen von geliebten Menschen warteten. An eine der niedrigen Hofmauern waren mehrere Marmor-Sarkophage gelehnt, und vor der Mauer gegenüber standen große Urnen mit ihren geweiteten Mündern, schmalen Hälsen und geschwollenen Bäuchen, die ihn an schwangere Frauen erinnerten … in den Tod hinein geboren werden, Schöße, die alles beinhalten sollten, was von sterblichem Fleisch übrig blieb, Heim derjenigen, die auf die letzte Frage antworten würden, die allerletzte Frage: Was liegt dahinter? Was erwartet uns alle? Welche Form hat das Tor vor mir? Es gab viele Möglichkeiten, diese Frage zu stellen, aber sie alle meinten das Gleiche, und alle suchten die eine Antwort.
Man sprach oft vom Tod. Dem Tod der Freundschaft. Dem Tod der Liebe. Jeder davon war ein Widerhall der Endgültigkeit, die am Ende wartete, aber es waren schwache Echos, geisterhafte, die Szenen im Puppentheater aufführten, verschluckt von flackernden Schatten. Töte eine Liebe. Was liegt dahinter? Leere, Kälte, dahintreibende Asche, aber erweist sich das nicht als fruchtbar? Ein Ort, wo eine neue Saat gepflanzt wird, wo sie Leben findet, sich selbst entgegenwächst? Ist dies auch so, wie der wahre Tod ist?
Aus dem Staub … entsteht eine neue Saat …
Ein erfreulicher Gedanke. Ein tröstlicher Gedanke.
Die Straße hinter ihm war nur mäßig bevölkert, die letzten derjenigen, die noch spät abends einkauften, zögerten, diesen Tag zu beenden. Vielleicht hatten sie nichts, wofür es sich lohnte, nach Hause zu gehen. Vielleicht hungerten sie nach einem weiteren Kauf, in der verzweifelten Hoffnung, dass er die Leere füllen würde – wie auch immer sie aussehen mochte –, die tief im Innern an ihnen nagte.
Niemand kam in diesen Hof, niemand wollte daran erinnert werden, was auf sie alle wartete. Wieso hatte er sich dann hier eingefunden? Suchte er nach irgendeiner Art von Trost, einer Erinnerung, dass auf alle Menschen, ganz egal, wo sie waren, das gleiche Ende wartete? Man konnte gehen, man konnte kriechen, man konnte vorwärtsstürmen, aber man konnte sich niemals umdrehen und in die andere Richtung gehen, konnte niemals entkommen. Darin konnte man, trotz der Binsenwahrheit, dass alle Trauer den Lebenden gehörte – also denjenigen, die zurückgelassen wurden und die jetzt leere Flecken sahen, wo einst jemand gestanden hatte –, eine Art gefasster Ruhe finden. Wir gehen alle den gleichen Pfad entlang, ein paar weiter vorn, ein paar weiter hinten, aber immer und in alle Ewigkeit auf dem gleichen Pfad.
Da war dann also der Tod der Liebe.
Und da war leider, leider ihre Mörderin.
»Crokus Junghand.«
Er drehte sich langsam um. Eine Frau stand vor ihm, auserlesen gekleidet, einen Hermelinmantel um die Schultern. Ein herzförmiges Gesicht, ein gelangweilter Blick, geschminkte Lippen, und ja, er kannte dieses Gesicht. Hatte es gekannt, eine jüngere Version, vielleicht eine kindliche Version, doch jetzt war da nichts mehr von jenem Kind – nicht in den Augen und nicht einmal in dem traurigen Lächeln der vollen Lippen. »Challice D’Arle.«
Später würde er auf diesen Augenblick zurückschauen, auf die dunkle Warnung, die in der Tatsache enthalten war, dass sie ihn nicht berichtigte, als er ihren alten Namen aussprach.
Hätte eine solche Wahrnehmung die Dinge geändert? All das, was kommen sollte?
Tod und Mord, Samen in der Asche, man tut, was man tut. Sarkophage standen offen. Urnen hallten hohl und dunkel. Steingesichter warteten auf Namen, Trauer kauerte am Tor.
Solcherart war diese Nacht in Darujhistan.
Solcherart ist diese Nacht … überall.
Kapitel Zwölf
Wo werde ich stehen
Wenn die Mauern zusammenbrechen
Östlich des Sonnenaufgangs
Nördlich des Antlitz des Winters
Südlich
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