Das Spiel der Nachtigall
die Ehe zwischen einem Christen und einer Jüdin nicht gültig.«
»Aber ich dachte, Jutta sei schon längst Christin!«, sagte Paul bestürzt. »Als sie bei uns gelebt hat, da habt ihr doch …«
»Ich hielt es für besser, deine Mutter in dieser Überzeugung zu lassen, bis Jutta durch unser Vorbild zum rechten Glauben finden konnte«, entgegnete sein Vater begütigend. »Deine Mutter hatte zu Beginn unserer Ehe immer große Sorgen, dass man mir meine Bekehrung nicht glauben würde, und eine unbekehrte Verwandte hätte sie darin nur bestärkt.«
Paul fielen die vielen Male ein, die seine Mutter besorgt oder verstört geblickt hatte, wenn sein Vater mit Jutta leise in einer Sprache redete, die der Rest der Familie nicht verstand, und er glaubte, nun endlich zu begreifen.
»Hat sie wirklich erzählt, Gilles sei davongerannt und hätte sie verlassen?«, wollte sein Vater wissen.
»Das hat sie behauptet«, bestätigte Paul. »Glaubst du, sie hat gelogen?«
»Hmm …« Stefan strich sich über seinen Bart. »Weißt du, ich habe Gilles einige sehr wichtige Nachrichten anvertraut, als er noch für mich arbeitete. Zugegeben, er war nicht der Schwiegerso– …. nun, der Neffe, den ich mir gewünscht hätte, denn deine Base hätte es besser treffen können. Aber er war immer sehr, sehr zuverlässig und nicht die Art von Mann, der eine Frau schutzlos zurücklassen würde.«
»Herr Walther war ja bei ihr«, warf Paul bitter ein.
»Wie ich schon sagte: schutzlos«, fuhr sein Vater unbeirrt fort. »Außerdem hatte er gewisse Gründe, sehr dankbar für die Verbindung mit deiner Base zu sein. Er konnte auf wenig Besseres hoffen.«
»Nun, die Bücher und Instrumente ihres Vaters sind gewiss eine Menge wert, wenn man sie verkauft, aber das würde Jutta nie tun.«
»Ich meine nicht ihre Mitgift, mein Sohn. Nimm an, du wärest, nun … ein Jude in Córdoba. Das liegt in Spanien, und die Herrscher dort bestehen derzeit darauf, dass jeder ihrer Untertanen ihren falschen Propheten Mohammed verehrt. Nimm also an, du wärest ein Jude und gezwungen, dein Judentum zu verstecken. Eine Ehe mit einer Muslimin hilft dir dabei, denn die Menschen schauen auf sie und zweifeln nicht daran, dass auch du ein Muslim bist. Würdest du da davonrennen und dein Leben gefährden? Denn wohin du auch rennst, die Menschen werden dann wieder den Juden in dir sehen.«
Was auch immer sein Vater ihm mit diesem Vergleich sagen wollte, es verstörte Paul zutiefst. Gilles war kein heimlicher Jude, das ergab keinen Sinn nach der vorherigen Bemerkung. Die Vorstellung, sein Vater könne in all den Jahren gelogen, gar seine Mutter nur geheiratet haben, um besser lügen zu können, diese Vorstellung bereitete Paul Übelkeit; es würde bedeuten, dass all die höhnenden Straßenkinder in seiner Jugend recht gehabt haben könnten.
»Es gibt derzeit unendlich Wichtigeres«, sinnierte sein Vater weiter, »aber eines Tages würde ich gerne herausfinden, was wirklich aus Gilles geworden ist.«
Paul starrte gequält auf die Landstraße. Da hatte er, nein, da musste er etwas falsch verstanden haben; diese Reise sollte doch seine Zweifel beheben, nicht sie verstärken oder gar neue schaffen, wie gerade eben.
Auf dem Weg in die Normandie wurde es damit nicht besser. Gewiss, zwischendurch gab es immer wieder Ereignisse, bei denen er sich am rechten Ort fühlte, aber Wurm blieb Wurm, und der steckte nun in ihm.
Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, fragte einer der Bewaffneten, die Paul aus Köln mitgebracht hatte, mit ehrfürchtiger Stimme, ob in der Kathedrale von Rouen wirklich Könige beerdigt seien.
»Wir beherbergen in Köln die Gebeine der Heiligen Drei Könige«, sagte Paul halb im Ernst, halb als Scherz und war dankbar für die Ablenkung. »Höherrangige Fürsten werdet Ihr in keiner Kirche finden, das wisst Ihr doch.«
»Nun ja, da wäre noch der Dom zu Bamberg, nachdem die Kaiserin Kunigunde jetzt heiliggesprochen wurde, wie ihr Gatte vor ihr«, sagte der Söldner pfiffig. »Heilige Kaiser stehen über heiligen Königen, selbst Königen, die unseren Herrn als Säugling erblickt haben.«
Erst jetzt begriff Paul, warum es in Köln geheißen hatte, dass Bischof Adolf so erbost über die Heiligsprechung der toten Kaiserin Kunigunde gewesen war und König Otto es schamlos genannt hatte, dass Philipp deren Gebeinen ein Grabmal gespendet und seine zweite Tochter nach ihr benannt hatte.
»Ich kenne mich in der normannischen Geschichte nicht aus. Habt Ihr hier
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