Das Spiel der Nachtigall
erfunden wie beispielsweise Judith. Andere, wie ihren Onkel Salomon, den Münzmeister von Wien, und die Kölner Kaufmannsfreunde ihres fiktiven Onkels Stefan hat es dagegen ebenso gegeben wie die Päpste, Kleriker, Fürsten und sonstigen Würdenträger, denen Walther von der Vogelweide in der Geschichte und in meinem Roman begegnet. Doch ich habe mir erlaubt, Wolfger von Erla zum geheimen Verfasser des Nibelungenliedes zu machen. Tatsächlich wissen wir bis heute nicht, wer es geschrieben hat, obwohl alle drei Hauptkandidaten aus dem Umfeld Wolfgers stammen. Es war reizvoll, meine eigene Theorie in die historischen Fakten einzuweben, aber vor allem war es wichtig für die Geschichte, die ich erzählen wollte. Wenn es etwas gibt, das die großen Dichter des Mittelalters mit uns Heutigen verbindet, dann dies: Wir möchten vor allem eine gute Geschichte erzählen – und wollen, dass sie gehört wird!
Tanja Kinkel im August 2011
Die Reise nach Rouen
Ein exklusives Zusatzkapitel zu Tanja Kinkels »Das Spiel der Nachtigall«
Tanja Kinkels vierzehnter Roman »Das Spiel der Nachtigall« entführt seine Leser in eine der bewegtesten Zeiten des deutschen Mittelalters, in der das Heilige Römische Reich Deutscher Nation gleich mehrfach zwei Könige hatte. Mit über 900 Seiten ist der Roman alles andere als kurz geraten – und doch konnte die Autorin nicht alles darin verarbeiten, was sie sich zunächst vorgenommen hatte. »Es ist so gut wie unmöglich, der Fülle der geschichtlichen Ereignisse, die damals wichtig waren, gerecht zu werden«, erklärt Tanja Kinkel. »Und auch bei den Erlebnissen der fiktiven Figuren musste ich die schmerzliche Entscheidung treffen, was für die Handlung des Romans zwingend notwendig ist und von was ich mich trennen konnte, um nicht zu sehr von der Kerngeschichte abzulenken. Die nachfolgende Szene – die im Roman ursprünglich vor Kapitel 33 angesiedelt war – gehört nach wie vor zu meinen Favoriten, und ich freue mich sehr, sie nun auf diesem Weg veröffentlichen zu können.«
Der neue König von England, so erfuhr Paul von seinem Vater, litt derzeit unter nicht weniger Schwierigkeiten als die beiden deutschen Könige – und das hatte weitreichende Konsequenzen, die es nun zu nutzen galt. Deswegen war eine kleine Kölner Gesandtschaft auf dem Weg nach Rouen in der Normandie.
John hatte zu Beginn seiner Regierungszeit einen Vertrag mit dem König von Frankreich geschlossen – was bedeutete, dass er keinen Verbündeten mehr gegen den Erzfeind seines verstorbenen Bruders brauchte und seinem Neffen Otto umgehend die Zuwendungen kürzte, was diesem empfindlichen Schaden zufügte. »Ich gebe zu, dass ich damit nicht gerechnet habe: Richard war noch jung und König Otto sein Lieblingsneffe. Ich glaubte, dass Richard noch lange regieren und natürlich all seine Versprechungen einhalten würde, lange genug, bis Otto sicher und unbestritten über das gesamte Reich herrscht. Um ganz offen zu sein, ich hoffte sogar, dass er dann Richards Nachfolger werden würde; Richard hatte dies geplant, noch bevor wir dem Welfensohn die Krone anboten. Dann hätte Otto über das gewaltigste Reich aller Zeiten geherrscht; selbst Karl der Große konnte nichts dergleichen von sich behaupten. Die heidnischen Römer vielleicht, aber darüber weiß ich nicht genügend. Ich brauche dir nicht zu sagen, was das für den Handel bedeutet hätte, mein Sohn. Aber es ist nun einmal ganz anders gekommen, und ich hätte darauf vorbereitet sein sollen.«
»Weil König John seinen Neffen nicht ausstehen kann, das habe ich schon verstanden«, sagte Paul. »Doch wie willst du es ändern?«
»Die Umstände haben sich geändert«, erklärte Stefan mit einem schmalen Lächeln. »John hat es fertiggebracht, seine Barone gegen sich aufzubringen, die Bretagne ist in einem Aufstand gegen ihn begriffen, sein Vertrag mit dem König von Frankreich ist nichts mehr wert, und wie man hört, ist er gerade dabei, die Normandie zu verlieren, das Stammland aller Normannen. Kurzum, er braucht dringend Hilfe.«
»Vater«, sagte Paul vorsichtig, weil er nicht als dumm dastehen wollte, »ich weiß, dass ich nur einen Teil deiner Geschäfte kenne, aber haben wir und die anderen Kölner Kaufleute nicht genug Einbußen erlitten in den letzten Jahren? Wir müssen bereits Bischof Adolf und König Otto mit jeder Menge Geld unterstützen, da verstehe ich nicht, wie wir auch noch König John helfen könnten.«
Sein Vater klopfte ihm wohlwollend auf
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