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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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die Schulter. »Es gibt mehr als eine Währung, mein Sohn. Du wirst schon sehen.«
    Paul wünschte sich, er müsste nicht gerade jetzt an seine Base Jutta denken: Sie würde behaupten, dass sein Vater vorgehabt hatte, auch sie als eine solche Währung zu behandeln bei seinem Versuch, sich Otto zu verpflichten. Er konnte beinahe ihre scharfe Stimme hören und die Hauswand in seinem Rücken spüren, gegen die sie ihn gepresst hatte. »Auf wessen Kosten wird dieses neue Geschäft wohl gehen?«
    Er war beinahe dankbar dafür, dass sie kurz nach Lüttich überfallen wurden, denn es gab ihm die Möglichkeit, zu kämpfen. Alles war einfacher in so einer Auseinandersetzung, dachte Paul: Niemand musste sich fragen, wer recht oder unrecht hatte. Sich gegen Angreifer zu verteidigen, war eine gute Sache, die Kerle, die einem ans Leben wollten, waren immer die Schurken, und überdies machte es ihn stolz, seinen Vater beschützen zu können. Vielleicht war er nicht so klug wie Stefan oder hatte die Art von Verstand, der ständig hinterfragte, wie Jutta ihn besaß, aber im Kampf mit ein paar gierigen Kriegsknechten brauchte er sich nicht mehr wie ein Verräter zu fühlen, der für den Tod eines Bischofs gesorgt und beinahe seine Base der Hurerei übergeben hatte.
    Es gelang ihm und den anderen Bewaffneten, die Angreifer zu vertreiben, und sein Vater war in der Tat dankbar und stolz. »Ich selbst«, sagte Stefan, »habe nie eine Waffe führen dürfen. Wer hätte gedacht, dass mein Sohn es damit einmal einem Ritter gleichtut!«
    »Dürfen, Vater?«
    »Ich war ein Jude, Paul«, erinnerte ihn sein Vater, »und habe die Taufe erst Jahre, nachdem ich herangewachsen war, empfangen. Da war es zu spät, die Waffenkünste noch zu lernen, selbst, wenn ich es gewollt hätte.« Gewöhnlich sprach er nicht von seiner jüdischen Vergangenheit, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ; nur einmal, als Paul von ein paar Jungen auf der Straße deswegen gehänselt wurde, sagte er, Paul möge den Quälgeistern erwidern, es sei keine Schande, dem auserwählten Volk anzugehören, dem sich der Herr als Erstes offenbart habe, als ihre Vorfahren noch Götzen anbeteten. Das hatte Paul dann ein paarmal getan, und irgendwann waren die Spöttereien tatsächlich verstummt, da man sich ein anderes Ziel ausgesucht hatte.
    Zum ersten Mal versuchte Paul, sich seinen Vater als jungen Mann in seinem Alter vorzustellen, mit unerfüllten Wünschen, doch er brachte es nicht fertig. Sein Vater war sein Vater: beinahe allwissend, älter und ewig.
    »Hättest du es denn gewollt?«, fragte er stattdessen.
    »Jeder Junge macht eine Zeit durch, in der er davon träumt, ein Ritter zu sein, Heldentaten zu vollbringen und Prinzessinnen zu retten«, sagte sein Vater milde. »Umso wichtiger ist es, diese Art Träume rechtzeitig abzulegen und sich der Wirklichkeit zu stellen – sonst verlebt man sein Dasein in Unzufriedenheit und tut sehr viel Törichtes, was anderen Menschen schaden kann. Schau dich selbst an. Ich verstehe, warum du damals deiner Base helfen wolltest, mit Gilles davonzulaufen. Es war die Tat eines gutherzigen Jungen. Aber nun bist du ein Mann und weißt es besser. Das ist gut so.«
    Es war die Art von Bemerkung seines Vaters, die sich wie eine stachlige Klette festsetzen konnte, und Paul wusste, dass er sie von nun an in Gedanken hören würde, wenn er sich das nächste Mal fragte, ob es Jutta oder er selbst war, welcher die Dinge verzerrt sah. Er fühlte sich beschämt, nicht nur, weil sein Vater ihn an sein Fehlverhalten erinnerte, sondern weil immer noch Zweifel an ihm nagten, die sein Vater ihm nie anmerken durfte.
    »Gilles ist noch nicht einmal bei ihr geblieben«, sagte er mit bitterer Stimme, um von sich abzulenken, »es sei denn, darüber hat sie gelogen. Sie hat uns seinetwegen verlassen, aber dann ist er davongerannt, und sie wurde das Weib des Minnesängers.«
    Sein Vater zog die Augenbrauen zusammen. »Dass sie mit Walther von der Vogelweide verheiratet ist, das hast du bisher nicht erwähnt, Paul. Hat sie denn ihre Ehe mit Gilles von einem der zahmen Bischöfe Philipps für ungültig erklären lassen?«
    Paul zuckte die Achseln.
    »Hast du sie eigentlich je beten gesehen?«, hakte Stefan nach.
    Das war eine völlig zusammenhangslose Frage, die Paul nicht verstand, aber vermutlich verstünde, wenn er klüger wäre. »Dazu war keine Zeit«, gab er zurück. »Wir waren doch kaum zwei Tage zusammen.«
    »Vor dem Gesetz«, sagte sein Vater versonnen, »ist

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