Das Spiel der Nachtigall
diesen Mann selbst kennenzulernen. William Marshall war, neben Heinz von Kalden, der berühmteste Ritter Europas, schon seit fast zwanzig Jahren, ein leibhaftiger Siegfried, nicht ein erfundener, und auch, wenn er einem Reich angehörte und Königen diente, die nicht Pauls waren, so hatte sich sein Ruhm doch bis nach Köln herumgesprochen. Gerade jetzt, da die Ereignisse Paul immer öfter enttäuschten oder verwirrten und er das Gefühl hatte, sich die Hände dreckig gemacht zu haben, wäre es gut, zu wissen, dass ein tapferer und unbestritten ehrenhafter Mann wie William Marshall auf ihrer Seite des Streites stehen konnte.
Der so in Gedanken Gepriesene stellte derweil jemanden namens Etienne de Cologne vor. Es dauerte einen Moment, bis Paul begriff, dass damit sein Vater Stefan aus Köln gemeint war – das konnte nur bedeuten, dass nun der berüchtigte König John zu ihnen getreten war. Vorsichtshalber ließ er sich ehrerbietig auf die Knie fallen; dann hob er vorsichtig seinen Blick von den blauen Schuhspitzen bis über das Knie und, als niemand es zu bemerken schien, weiter bis zum Gesicht des Königs.
John war nicht groß für einen Mann; etwa so hoch wie Pauls Base Jutta. Er hatte dunkle Haare, einen überraschend gepflegt wirkenden Bart und nicht die geringste Ähnlichkeit mit seinem Neffen Otto, den Paul mittlerweile oft genug bei Prozessionen aus der Nähe gesehen hatte, um Einzelheiten auszumachen. Otto, sagte sich Paul zufrieden, ist eben nach der welfischen, deutschen Seite der Familie geraten. Dann fiel ihm ein, dass der verstorbene Richard auch blond gewesen war, denn man hatte ihn in Köln auf den Straßen gefeiert, nachdem er aus der Gefangenschaft befreit wurde, und das Bild war Paul unvergessen geblieben.
»Mein König«, sagte Pauls Vater in seinem besten Französisch, »gestattet mir, einen Augenblick Eurer kostbaren Zeit zu verschwenden.«
»Was Ihr hiermit bereits getan habt«, sagte John von England spöttisch, doch nicht angriffslustig, mehr, als prüfe er Pauls Vater. »Das Kirchenportal ist dort drüben – Eure Füße werden Euch nun gewiss in diese Richtung tragen wollen.«
»Nicht, ehe meine Ohren Euch haben sagen hören, dass Ihr der heiligen Ursula hier in dieser Kirche zehn Kerzen aus Dankbarkeit dafür stiftet, dass der Heilige Vater Eure Ansprüche gegen den König von Frankreich unterstützt.«
Das löste ein paar überraschte Laute bei den anderen Edelleuten aus und irgendwo ein hastig ersticktes Kichern. Johns Augen verengten sich, und er verschränkte die Arme ineinander. »Dann, so scheint mir, sei Euch ein weiterer Augenblick gestattet.«
»Der Papst«, sagte Pauls Vater, »scheint mir ein Mann zu sein, der gerne Familien wieder zusammenbringt.«
Mit einem Mal nahm das Schweigen von Johns Edelleuten eine andere Färbung an und wurde lauernd, während man das Schimpfen und die Zurufe der Bauleute und Steinmetze von den Gerüsten schallen hörte.
»Wenn das ein frommer Wunsch sein soll, etwas über das Schicksal meines verstorbenen Neffen zu erfahren, dann habt Ihr mehr Mut als die Leute an meinem Hof«, sagte John ausdruckslos.
»Nein, natürlich nicht.« Stefan schüttelte seinen Kopf. »Es ist der fromme Wunsch, Euch wieder mit Eurem Neffen Otto zu vereinen.«
»Mein Neffe Otto, der es trotz seiner Lehre bei meinem verstorbenen Bruder, dem angeblich größten Krieger aller Zeiten, immer noch nicht fertiggebracht hat, sein Königreich einem ehemaligen Mönch zu entreißen? Das ist in der Tat ein sehr frommer Wunsch«, gab John beißend zurück. Aufgebracht dachte Paul, dass dies auch Johns Schuld war, weil er Otto die Zuwendungen fast gänzlich gestrichen hatte.
»Euer Neffe Otto, der nichts lieber will, als Euch gegen den König von Frankreich zur Seite zu stehen, wenn er nur die Hände freihätte«, sagte Pauls Vater bedeutsam. »Euer Neffe Otto, der vom Papst als der wahre König der Deutschen anerkannt wurde und seine Freunde in der Not nicht vergessen wird.«
»Jetzt langweilt Ihr mich. Das habe ich alles schon gehört, doch niemand konnte mir bisher verraten, warum ich Geld, von dem ich ohnehin zu wenig habe, an Otto verschwenden sollte, wenn es so aussieht, als ob Philipp gewinnt.«
»Philipp von Schwaben steht nicht nur unter dem Kirchenbann, er hat sich der Ermordung seines Kanzlers schuldig gemacht, des Erzbischofs von Würzburg«, gab Pauls Vater zurück. »Er wird von Glück sagen können, wenn er am Ende noch eine Grafschaft sein eigen nennen
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