Das Spiel seine Lebens
rausgekriegt, wem die andere Nummer gehört, die Gary Grady nach deinem Besuch angerufen hat. Sie gehört zu einem Fotostudio mit dem Namen - halt dich fest - Global Globes Fotos. Es ist in der Nähe der 10 th Avenue, gleich beim Tunnel.«
»Ominöse Gegend.«
»Äußerst ominös«, sagte sie. »Ich glaube, die sind auf Pornofotos spezialisiert.«
»Ist immer gut, wenn man ein Spezialgebiet hat.« Myron sah auf die Uhr. »Hast du was von Win gehört?«
»Bisher nicht.«
»Hinterlass die Adresse des Fotostudios auf seinem Anrufbeantworter. Vielleicht schafft er es noch rechtzeitig, um mir zu helfen.«
»Willst du da heute Abend noch hin?«, fragte sie.
»Ja.«
Esperanza knallte ihren Stenoblock zu. »Was dagegen, wenn ich mitkomme?« »Zum Fotostudio?«
»Ja.«
»Musst du nicht noch ins Seminar?« Esperanza machte ein Abendstudium in Jura an der New York University.
»Nein. Und meine Hausaufgabe habe ich auch schon fertig. Ehrlich, Daddy.«
»Sei still und komm mit.«
23
Nuttenviertel.
Alle waren vertreten. Wei ße, Schwarze, Asiatinnen, Lateinamerikanerinnen - wahrhaftig die Vereinten Nationen der Prostituierten. Meist sehr jung, stolperten sie auf ihren zu hohen A b -sätzen umher wie Kinder, die sich verkleidet hatten, was sie in gewisser Weise ja auch waren. Auf ihren oft dürren und ausgemergelten Körpern hatten sich Linien von Einstichen wie Schw ärme winziger Insekten ausgebreitet, die Haut saß straff auf den Wangenknochen, wodurch die Gesichter an die Totenschädel in einer Geisterbahn erinnerten. Ihre eingefallenen Augen blickten leer, das Haar hing schlaff und strohig herab.
Myron murmelte: »»Wissen sie denn nicht, dass die, die sie lieben, längst tot sind?««
Esperanza überlegte einen Moment lang. »Das kenn ich nicht.«
»Fontine in Les Miserables. Das Musical.«
»Broadway-Musicals kann ich mir nicht leisten. Mein Chef ist zu geizig.«
»Aber süß.«
Er beobachtete, wie eine Blondine mit Hot Pants mit einem schmierigen Typen in einem Ford Kombi verhandelte. Er kannte ihre Geschichte. Er hatte M ädchen (manchmal auch Jungs) wie sie gesehen, die am Busbahnhof Tort Authority« aus einem Greyhound aus West Virginia, dem Westen Pennsylvanias oder dem großen, eintönigen Gebiet, das die New Yorker einfach »Midwest« nennen, stiegen. Sie war von zu Hause abgehauen -möglicherweise, weil sie misshandelt worden war, wahrscheinlich jedoch eher, weil sie sich gelangweilt hatte oder weil sie einfach in eine Großstadt »gehörte«. Mit einem breiten Lächeln war sie wie hypnotisiert und ohne einen Penny aus dem Bus gestakst. Zuhälter hatten sie erspäht und mit der Geduld von Geiern gewartet. Zur rechten Zeit würden sie herabstoßen und sich ihren Kadaver holen. Sie zeigten ihr den Big Apple, besorgten ihr einen Schlafplatz, etwas zu essen, eine heiße Dusche, vielleicht sogar ein Zimmer mit Whirlpool, glitzernden Lichtern, einem coolen CD-Player und Kabelfernsehen mit Fernbedienung. Sie versprachen ihr, sie einem Fotografen vorzustellen, sie könnte als Model arbeiten. Dann zeigten sie ihr, wie man einen drauf machte, richtig einen drauf machte, nicht diesen Kinderkram,
den sie in ihrem Kuhkaff nach ein paar Bier mit einem pickeligen Obersch üler auf dem Rücksitz eines Pickups ausprobiert hatte. Sie zeigten ihr, wie man mit dem besten Zeug einen drauf machte, mit dem wunderbarsten weißen Pulver, das zu haben war.
Aber die Dinge änderten sich. Irgendjemand musste für das tolle Leben bezahlen. Aus dem Job als Model wurde nichts, und schließlich konnte sie den anderen nicht ständig auf der Tasche liegen. Außerdem war das Draufmachen jetzt eher Notwendigkeit als Luxus. Sie brauchte es wie die Luft zu Atmen. Ohne Sniff oder einen Stich von ihrer Lieblingsnadel konnte sie einfach nicht mehr leben.
Dann dauerte es nicht mehr lange, bis sie abst ürzte und ganz unten ankam. Und als sie erst einmal dort war, hatte sie nicht mehr die Kraft - meist nicht einmal den Wunsch - da wieder herauszukommen.
Schlie ßlich landete sie hier.
Myron parkte. Sie stiegen schweigend aus. Myron sp ürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Natürlich war es dunkel. Solche Orte gab es nur bei Nacht. Beim ersten Strahl der Sonne lösten sie sich in Luft auf.
Myron war nie bei einer Hure gewesen, wusste aber, dass Win ihre Dienste bei diversen Gelegenheiten in Anspruch genommen hatte. Win fand das bequem. Am liebsten ging er ins Noble House, ein asiatisches Bordell an der 8 th Street. Mitte der
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