Das Spiel
Schulter. Wie zuvor hat er nur Augen für das Loch.
»Nicht! Bitte nicht...!«
Er schiebt mich weiter, und ich stürze zu Boden. Vielleicht kann ihn das ja aufhalten. Doch er packt nur mein Hemd und zerrt mich auf die Beine. Das Loch ist direkt hinter mir. Diesmal gibt er mir keine Chance wegzulaufen.
Janos zieht mich an sich, um mir den letzten Stoß zu versetzen. Mein rechter Arm ist gefühllos. Mein Kopf brennt. Das einzige, was mein Gehirn noch registriert, ist sein Atem. Er riecht nach Pfefferminz.
»Du kannst nicht gewinnen«, stammle ich. »Ganz gleich, was du tust, es ist vorbei.«
Janos hält inne. Er verzieht das Gesicht, seine Augen verschwinden fast in den Falten. »Das sehe ich genauso«, erwidert er.
Dann rammt er mir die Faust gegen die Brust. Ich taumle in das Loch. Beim letzten Mal habe ich den Fehler gemacht, nach seinem Hemd zu greifen. Diesmal bediene ich mich seines eigenen Tricks, packe seine Ohr und halte es krampfhaft fest.
»Was ...?« Bevor er die Frage zu Ende stellen kann, stolpern wir beide in Richtung Loch.
Mein Fuß rutscht in den Rand. Ich lasse nicht los. Janos' Kopf ruckt vor. Während ich weiter abgleite, packt er meinen Arm und versucht die Schmerzen an seinem Ohr zu lindern. Ich halte mich nach Leibeskräften fest. Er landet krachend auf der Brust. Das verlangsamt unseren Absturz zwar, aber ich habe zuviel Schwung. Die untere Hälfte meines Körpers befindet sich schon im Loch, und ich rutsche rasch weiter. Kieselsteine graben sich schmerzhaft in meinen Bauch. Janos geht es auch nicht besser. Der Zement zerkratzt ihm die Brust. Mit dem Kopf voran folgt er mir in das Loch. Er läßt meinen Arm los und versucht zurückzurudern. Er krallt sich in den Zement. Ich trete um mich und suche an den Innenseiten des Lochs nach einem Halt, der unseren Absturz verhindern könnte. Janos schließt die Augen, während er sich aus Leibeskräften festhält. Eine dicke Ader tritt auf seiner Stirn hervor. Sein Gesicht ist dunkelrot angelaufen. Und dann, wie aus dem Nichts, bleiben wir ruhig liegen.
Eine Wolke aus Staub und Schmutz senkt sich vom Rand auf mein Gesicht. Ich hänge an meinem linken Arm. Das ist mein einziger Körperteil, der noch nicht im Loch ist. Meine Achsel liegt auf dem Rand und trägt den größten Teil meines Gewichtes. Mit der Hand umklammere ich Janos' Ohr, als hinge mein Leben davon ab -was es auch irgendwie tut. Denn nur deshalb umklammert er noch mein Handgelenk. Er liegt bäuchlings da und hält mich fest, obwohl unser Sturz aufgehalten wurde. Wenn er mich losläßt, stürze ich zweifellos ab, aber dabei werde ich ihn aller Voraussicht nach mitreißen.
Weil ich an seinem Ohr hänge, kann Janos den Kopf nicht heben. Seine Wange wird auf den Zementboden gepreßt. Er dreht seinen Kopf ein wenig und überprüft mit einem Blick, daß ich nicht wegkann. Ich stecke im Loch, nur mein Kinn und mein Arm ragen über den Rand hinaus. Offenbar will er mich jetzt ganz hineinstoßen.
»Nicht, Janos ...!«
Er versucht meinen Griff an seinem Ohr zu lösen, preßt seine Finger in mein Handgelenk und verlagert seine Position. Dabei rutschen wir jedoch tiefer in das Loch und halten erneut abrupt an. Jetzt liegt nur noch mein Ellbogen auf dem Rand, nicht mehr meine Achselhöhle. Er muß den größten Teil meines Gewichts halten. Janos liegt immer noch auf dem Bauch. Seine Wange liegt im Dreck, und es sieht aus, als hinge auch eine seiner Schultern bereits über dem Abgrund. Ich kann kaum noch über den Rand blicken, aber ich lasse nicht los. Ich halte sein Ohr fest. Sollte ich abstürzen, solange ich mich festhalte, reiße ich ihn mit hinunter.
Unter mir höre ich das Echo von kleinen Steinen, die heruntergefallen sind. Anscheinend ist es ein weiter Weg bis zum Boden. Janos ignoriert das Risiko und gräbt seine Finger in die untere Seite meines Handgelenks. Der Schmerz ist unbeschreiblich. Ich kann mich nicht länger festhalten. Mein kleiner Finger gleitet von seinem Ohr ab. Er zieht den Kopf zurück und versucht sich zu befreien. Mein Ringfinger gibt als nächster auf. Er hat es fast geschafft. Seine Finger durchlöchern die Haut an meinem Handgelenk beinahe. Mit der freien Hand streiche ich suchend über den Boden, aber ich stecke schon zu weit drin. Ich finde keinen Halt. Der Schmerz ist zu groß. Ich muß loslassen ...
»Wenn du ihn fallenläßt, Janos, verspreche ich dir, überholst du ihn auf dem Weg nach unten.« Viv stemmt ihren Fuß auf seine Hüfte und droht, ihn in die
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