Das Spiel
und dann Viv erledigen.
»Tu es endlich!« schreie ich.
»Aber Vivian, möchtest du deinen Freund wirklich auf dem Gewissen haben?« erkundigt sich Janos beinahe liebenswürdig.
Vivian hält das Neuner-Eisen immer noch hoch in die Luft und starrt auf uns herunter. Ihr Blick zuckt von Ja-nos zu mir und wieder zurück zu Janos. Sie muß in wenigen Sekunden eine Entscheidung treffen. Sie holt aus. Ihre Hände zittern. Tränen laufen ihr über die Wangen. Sie will es nicht tun, aber je länger sie da steht, desto klarer wird ihr, daß sie keine andere Wahl hat.
81. KAPITEL
»Schlag ihn, Viv! Schlag zu!« schreie ich.
Viv hat den Schläger hoch erhoben, doch sie rührt sich nicht.
»Sei klug, Vivian«, sagt Janos. »Bedauern ist die schlimmste Bürde.«
»Harris, bist du sicher?« fragt sie.
Bevor ich antworten kann, drückt Janos ein letztes Mal in mein Handgelenk und bricht meinen Griff. Ich kann sein Ohr nicht mehr festhalten.
»Tu ... es!«
Janos kehrt Viv den Rücken zu, konzentriert sich auf mein Handgelenk und gräbt tief seine Finger hinein. Er schaut Viv nicht einmal an. Wie alle Spieler geht er ein Risiko ein. Wenn Viv ihn bis jetzt nicht geschlagen hat, wird sie es gar nicht tun.
»Viv, bitte ...!« flehe ich sie an.
Ihr ganzer Körper zittert, als ihr die Tränen aus den Augen rinnen. Sie schluchzt, hält jedoch den Schläger immer noch hoch über dem Kopf.
»Ich kann das nicht, Harris!«
»Natürlich kannst du das!« sage ich ihr. »Es ist okay.«
»Bist du ... bist du ...?«
»Ich schwöre, Viv, es ist okay. Ungelogen.«
Ein allerletztes Mal gräbt Janos seinen Finger in mein Handgelenk. Ich lasse sein Ohr los, doch als ich tiefer in das Loch rutsche, läßt er mich nicht fallen. Statt dessen hält er mich fest und drückt meine Finger zusammen. Er grinst. Es gefällt ihm, die Kontrolle zu behalten, vor allem, wenn er sie zu seinem Vorteil nutzen kann.
Ich hänge an meinem Arm und schaue Viv aufmerksam an. »Bitte! Bitte, tu es! Jetzt!«
Viv schluckt schwer und kann kaum sprechen. »Gott möge mir vergeben«, sagt sie.
Janos hält inne. Etwas in ihrer Stimme veranlaßt ihn, sich umzudrehen und sie anzuschauen.
Ihre Blicke treffen sich. Sie atmet schwer, als sie den Schläger fester umfaßt, und leckt sich die Lippen. Janos lacht leise. Er glaubt nicht, daß sie den Mumm dazu hat.
Da irrt er sich.
Ich nicke Viv zu. Sie schnieft noch einmal und formt mit den Lippen das Wort Lebwohl. Dann dreht sie sich zu Janos um und stemmt ihre Füße fester auf den Boden.
Komm schon, Viv, denke ich. Es hei ßt du oder er.
Viv holt aus, und Janos lacht erneut. In dem Moment fangen die Belüfter wieder an zu tuckern. Einen Moment hält alles wie erstarrt inne. Dann fällt Viv ein Schweißtropfen von der Nase. Sie legt ihr ganzes Gewicht hinter den Schlag. Janos läßt mich los, wirbelt herum und stürzt sich auf sie.
Er geht davon aus, daß ich abstürze und mir das Genick breche. Offenbar hat er die kleine Mulde übersehen, auf der ich in den letzten Minuten balanciert bin. Irgend jemand hat sie in die Innenwand des Lochs gegraben. Meine Fußspitze paßt gerade hinein. Ich strecke mein Bein. Bevor einer der beiden merkt, was geschieht, drük-ke ich mich hoch und packe Janos am Hemdrücken. Er wollte sich gerade auf Viv stürzen und hat nicht auf seine Balance geachtet. Das ist ein Fehler, und zwar der letzte, den er in unserer Schachpartie machen wird. Beim Sport und in der Politik funktioniert nichts besser als eine nette, kleine Ablenkung. Ich kann mich kaum auf dem Rand des Loches festhalten, während ich Janos mit der Linken nach hinten zerre. Er weiß nicht, wie ihm geschieht. Ich ziehe ihn zurück, ducke mich und überlasse der Schwerkraft den Rest.
»Was, zum ... ?« Janos bringt den Satz nicht zu Ende. Unkontrolliert taumelt er rücklings in das Loch hinein. Als er an mir vorbeistürzt, versucht er, sich an meiner Schulter, meiner Taille und meinen Beinen, ja selbst an meinen Schuhen festzuhalten, aber es geht zu schnell.
»Nein ...!« Sein letztes Wort hallt laut in dem Loch, während er in der Dunkelheit verschwindet. Das dumpfe Kratzen verrät mir, daß er von den Wänden abprallt, immer wieder. Sein Schrei hört nicht auf. Bis ein gedämpfter Aufprall auf dem Boden ihn erstickt.
Eine Sekunde später ertönt eine schrille Sirene. Das überrascht mich nicht. Immerhin ist das hier das Belüftungssystem für das gesamte Capitol. Natürlich ist es gesichert. Die Kavallerie dürfte gleich
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