Das Spiel
ist sie der Typ Mensch, der einem vorwirft, zu spät zu kommen, obwohl sie selbst zu früh da war. Mit ihrem rötlichen Haar, den dunkelgrünen Augen und den Sommersprossen wirkt sie unschuldig und sehr attraktiv. Für mich ist allerdings im Moment das Aufregendste im Raum das kleine Fernsehgerät im Hintergrund. Ich muß mich anstrengen, wenn ich etwas erkennen will. Zweiundvierzig Ja- und zehn Nein-Stimmen. Es sieht immer noch gut aus.
Gerade als ich mich auf den Stuhl gegenüber Trish setze, schwingt die Tür des Konferenzraumes auf, und die beiden letzten Mitarbeiter kommen herein. Georgia Rudd und Ezra Ben-Shmuel. Ezra ist für die Schlacht gerüstet. Sein Gesicht ziert ein kümmerlicher Arme-Leute-Umweltschützer-Bart, »Mein erster Bart«, wie Trish ihn nennt. Die Ärmel seines blauen Hemdes sind bis zum Ellbogen aufgerollt. Georgia bildet das genaue Gegenteil. Sie ist viel zu konformistisch, um ein Risiko einzugehen, unauffällig und trägt das übliche marineblaue Vorstellungskostüm. Trish ist ihr großes Vorbild.
Beide sind mit einem übergroßen Ziehharmonika-Ordner bewaffnet und nehmen rasch ihre Plätze am Tisch ein. Ezra an meiner Seite, Georgia neben Trish. Die vier Reiter sind da. Bei Konferenzen repräsentiere ich die Mehrheit des Hauses, Ezra die Minderheit. Trish und Georgia gegenüber tun das gleiche auf der Seite des Senats. Obwohl Ezra und ich verschiedenen politischen Parteien angehören, begraben Republikaner und Demokraten des Abgeordnetenhauses ihre Differenzen, wenn es gegen ihren gemeinsamen Feind geht: den Senat.
Mein Pager vibriert in meiner Tasche. Ich ziehe ihn heraus, um die Nachricht zu betrachten. Sie stammt von Harris. Verfolgst du's? steht in digitalen schwarzen Buchstaben auf dem Minidisplay.
Ich werfe einen Blick über Trishs Schulter auf das TV-Gerät. Vierundachtzig Jas, zweiundvierzig Neins.
Mist. Die Neins müssen unter 110 Stimmen bleiben. Wenn sie schon in diesem frühen Stadium der Abstimmung bei zweiundvierzig liegen, bekommen wir Probleme.
Was sollen wir tun? tippe ich in die winzige Tastatur. Ich halte meine Hände unter der Tischplatte, damit die Leute vom Senat nicht sehen, was ich da mache. Noch bevor ich die Send-Taste drücken kann, vibriert der Pager erneut.
Noch kein Grund zur Panik! Harris kennt mich einfach zu gut.
»Können wir bitte weitermachen?« fragt Trish. Es ist schon der sechste Tag in Folge, an dem wir versuchen, uns gegenseitig in den Erdboden zu stampfen. Trish weiß, daß es noch eine Menge zu tun gibt. »Also, wo haben wir aufgehört?«
»Cape Cod«, erklärt Ezra. Wie bei einem Lesewettbewerb blättern wir vier die hundert Seiten dicken Dokumente durch, in denen die Unterschiede zwischen den Vorlagen des Repräsentantenhauses und denen des Senats aufgelistet sind. Als ersteres letzten Monat seine Version verabschiedet hat, haben wir siebenhunderttausend Dollar für die Erneuerung der Küste von Cape Cod veranschlagt. Eine Woche später hat der Senat seine Vorlage verabschiedet, in der dafür kein Cent vorgesehen war. Das ist der Sinn dieser Konferenz. Wir sollen die Unterschiede auflisten und einen Kompromiß erzielen. Posten um Posten um Posten. Sind die beiden Vorlagen schließlich vereinigt, gehen sie zur letzten Billigung wieder an das Haus und den Senat zurück. Erst wenn beide Körperschaften dieselbe Gesetzesvorlage verabschieden, geht sie ins Weiße Haus und wird Gesetz.
»Ich gebe Ihnen dreihundertfünfzigtausend«, bietet mir Trish an. Sie hofft, daß ich mit der Hälfte zufrieden bin.
»Abgemacht«, sage ich und muß lächeln. Wenn sie Druck gemacht hätte, hätte ich mich auch mit zweihunderttausend zufriedengegeben.
»Das Chesapeake in Maryland.« Trish ruft den nächsten Posten auf. Ich schaue auf das Papier. Der Senat hat sechs Millionen für die Stabilisierung gewährt, wir keinen Cent.
Trish lächelt. Deshalb war sie so zuvorkommend bei dem letzten Posten. Die sechs Millionen sind von ihrem Boß, Senator Ted Apelbaum, angesetzt worden, der zufälligerweise auch der Vorsitzende des Unterausschusses im Senat ist, das Äquivalent zu meinem Chef Cordeil. Im Hügelslang werden die Vorsitzenden Cardinais genannt. Kardinäle. Bei ihnen hört der Spaß auf. Was die Kardinäle wollen, kriegen sie auch.
Überall in den ruhigen Büros im Capitol spielt sich dasselbe ab. Vergeßt die Vorstellung von übergewichtigen, jovialen Kongreßabgeordneten, die in zigarrenrauchgeschwängerten Hinterzimmern Pferdehandel abschließen.
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