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Das Spinnennetz

Das Spinnennetz

Titel: Das Spinnennetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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mit einem großen Taschentuch. Der Dr. Trebitsch winkte auch.

XXI
    Viele kannten Benjamin: den Journalisten Pisk; den Filmagenten Brandler; den Statisten Neumann; den Schwarzkünstler Angelli; den Reiseschriftsteller Bertuch.
    Der Journalist Pisk war ein wertvoller Mann. Er schrieb für jüdische Blätter. Bilder aus der Gesellschaft. Aus der alten und aus der neuen Gesellschaft. Wenn eine Prinzessin starb, schrieb er.
    Aber über den Kapitän Ehrhardt schrieb er auch. Er schrieb den Werdegang Noskes. Er schrieb die Vergangenheit Ludendorffs. Er schrieb die Kadettengeschichten Hindenburgs. Er schrieb über Krupp. Er schrieb über Stinnes’ Töchter und Söhne.
    Er schrieb über Theodor Lohse, weshalb sollte man über Theodor Lohse nicht schreiben? »Er ist der Mann der Zukunft!« sagte Benjamin Lenz.
    Pisk hatte ein abstehendes Ohr. Er trug seinen breitrandigen Hut schief, so daß die Krempe sein Ohr beschattete. Und er trug den Hut im Café auch, er wollte nicht durch sein Ohr auffallen. So konnte niemand sagen, er hätte einen Schönheitsfehler. Man sagte höchstens, er könne sich nicht benehmen. Aber das sagte man ohnehin.
    Aber wenn er mit Theodor Lohse in der Likörstube saß, hatte er doch den Hut abgelegt. Das bedeutete eine Ergebenheit, die sich nicht scheut, Opfer zu bringen.
    Und Benjamin schließt daraus, daß Pisk sehr viel über Theodor zu schreiben gesonnen ist.
    Es stehen in der »Morgenzeitung« Aufsätze über »Männer der Revolution«. Und es wird in der »Morgenzeitung« erzählt, daß Theodor Lohse es gewesen ist, der in einer entscheidenden Nacht den Reichstag vor der Demolierung durch Spartakus gerettet hat.
    Man spricht im Kasino über den Artikel im jüdischen Blatt. Es bitten die »jungen Leute« am unteren Tischrande, Theodor möge die Geschichte erzählen.
    Nein, Theodor Lohse erzählt nicht gern von sich selbst. Er sagt: »Nicht der Rede wert!«
    Und obwohl sogar der Oberst ihn ansieht und gleichsam eine Pause im Essen eintritt und des Obersten Wangentaschen nicht mehr zittern und des Obersten Augen auf Theodor gerichtet sind, erzählt er nicht.
    »Ein anderes Mal! Bei Gelegenheit«, sagt Theodor Lohse.
    Gelegentlich hat Pisk seine Brieftasche vergessen. »Zahlen!« ruft Benjamin Lenz.
    Und wenn der Kellner beim Tisch steht, erwartend und leicht vorgeneigt, muß Theodor zahlen. Denn er ist in Uniform.
    Manchmal sagt Pisk: »Nehmen wir ein Automobil!« Pisk gibt dem Chauffeur das Ziel an. Unterwegs steigt er aus, und Theodor Lohse fährt weiter.
    Manchmal hat Pisk auch noch andere Bedürfnisse. Und Benjamin Lenz hat auch Bedürfnisse.
    Nun hat Theodor auch die Vertretung Trebitschs übernommen. Er braucht nur dreimal in der Woche auszurücken.
    Auch der Oberst weiß, daß Theodor in Berlin zu tun hat. In unregelmäßigen, aber häufigen Abständen flakkert der Name Theodor Lohses in Berichten und Artikeln auf.
    In jüdischen Zeitungen, die Revolution nicht lieben.
    Pisk aber liebt Männer der Revolution. Er lebt von ihnen. Er trägt seit einigen Tagen ein Monokel und in der Brieftasche einen Ausweis vom Bund landwirtschaftlicher Eleven. Er ist so gegen Straßenkämpfe und Überfälle gerüstet.
    Auch Benjamin Lenz trägt ein Monokel. Man sieht die Nähe des 2. Novembers.

XXII
    Die Nacht vor dem 2. November verbrachte Theodor mit Kameraden in einem Nachtlokal. Man hielt verschieden gefärbte Mädchen auf den Knien. Es galt, vom Leben Abschied zu nehmen. Das sagten die Offiziere den Mädchen. Der Gedanke an einen frühen Tod machte alle Mädchen wehmütig. Die Musik spielte »Die Wacht am Rhein«. Ein Gast saß da. Zwei Offiziere zerrten ihn in die Höhe. Er war dick und schwer und betrunken. Sie hielten ihn an den Schultern. Dann ließen sie ihn fallen. Er fiel unter den Tisch und blieb sitzen. Er spielte mit dem Sektkübel.
    Der Morgen brach grau an. Es regnete. Theodor wartete am Bahnhof auf seine Kompanie. Sie sollte um acht Uhr in der Stadt gestellt sein. Es war ein Sonntag. Die Stadt sah schläfrig aus. Es regnete.
    Um neun Uhr demonstrierten Arbeiter Unter den Linden. Die nationalen Jugendgruppen in Charlottenburg. Zwischen beiden waren Straßen, Häuser, Polizei. Dennoch wartete die Stadt auf einen Zusammenstoß.
    Um neun Uhr regnete es immer noch. Die Arbeiter gingen mitten im grauen Regen. Grau waren sie wie er. Unendlich waren sie wie er. Aus grauen Quartieren kamen sie wie er aus grauen Wolken. Sie waren wie ein Herbstregen. Unaufhörlich, unerbittlich, leise. Wehmut

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