Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spinnennetz

Das Spinnennetz

Titel: Das Spinnennetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
Vom Netzwerk:
Maschinengewehr. Einer hat den Schrei ausgestoßen. Schon sind tausend zur Flucht gewendet. Tausend Hände ziellos weisend erhoben. Von allen Dächern starren Läufe. Von allen Dächern tackt es. Hinter jedem Mauervorsprung hocken grüne Uniformen. An allen Fenstern glotzen schwarze Mündungen.
    Jemand ruft: »Soldaten!«
    Es hallt der Trott genagelter Stiefel auf dem Asphalt. Besetzt sind die Häuser. Die Fenster Schießscharten, Pferde wiehern herrenlos in Hausfluren, Kommandorufe knallen. Rüstungen rasseln.
    Theodor wartet am Alexanderplatz. Seine Kompanie wartet. Er drückt sich an ein geschlossenes Haustor. Seine Kompanie hockt auf dem Bürgersteig.
    Ein berittener Polizist meldet ihm Sturm auf Rathaus und Polizei. Theodor marschiert ab.
    Es wird ein harter Kampf sein. Er wird fallen. Er möchte weinen. An der Spitze marschiert er. Der gleichmäßige Schritt seiner Leute erfüllt sein Ohr. Jetzt wird er sterben. Noch fühlt er den lieblichen Druck eines weichen Frauenkörpers von gestern nacht.
    Um Rathaus und Polizei kämpft eine Arbeiterwehr. Ihr Anführer ist ein Mann mit wehendem Haar, mit einem Knotenstock in der Faust. Jetzt reißt er einem Arbeiter das Gewehr aus der Hand und legt an. Theodor wirft sich zu Boden. In eine Kotlache fällt er. Schmutziges Wasser spritzt auf. Er schießt liegend, aufs Geratewohl. Seine Leute rennen vor. Er sieht nichts mehr, vor sich nur die Schwelle des Trottoirs, darüber die Fläche eines quadratischen Steines. Eine Detonation erschreckt ihn. Menschenknochen wirbeln durch die Luft. Ein Beinstumpf fällt blutend aus der Höhe. Ein Stiefel mit einem Fuß darin.
    Es brennt. Man riecht den Brand. Sieht eine Rauchwolke, gegen den Regen kämpfend, aufsteigen. Theodor springt auf. Rennt. Es brennt im Judenviertel. Hausgeräte fliegen aus Fenstern schmutziger Häuser. Menschen fliegen mit. Eine Jüdin keucht unter der Last eines Soldaten. Sie liegt quer über dem Bürgersteig. Eine alte Dame hinkt über die Straße. Lächerlich ihre Hast. Allzu gering ihrer lahmen Füße Kraft. Sie hat das Gesicht einer Laufenden. Und ihre Bewegung ist schleppend. Kinder kriechen im Schlamm. Sie tragen gelbe Hemdchen, Blut sammelt sich an den Rändern. Fließt weiter mit dem Regenwasser. Mit Pferdekot, Flaumfedern, Strohhalmen. Fließt den gierig trinkenden Kanalgittern zu.
    Weißbärtige Männer eilen mit wehenden Rockschößen. Jemand umklammert Theodors Knie. Gnade winselt ein Mensch. Theodor schlenkert mit dem Fuß. Der Flehende fliegt in einen Blutbach. Rot spritzt auf. Flammen züngeln aus Fenstern. Rauch bricht aus berstenden Dächern. Männer mit Eisenstangen rufen:
    »Schlagt die Juden!«
    Alle schlagen, alle werden geschlagen. Theodor zwischen allen steht. Er sieht im Schlamm einen Kopf. Ein sterbendes Angesicht. Das Angesicht Günthers. Theodor starrte darauf. Erhielt plötzlich einen schweren Schlag auf den Kopf. Blut rann über seine Schläfe. Rote Räder kreisten. Er taumelte. Er sah den Anführer. Sein wehendes Haar. Den fliegenden Stock. Theodor riß die Pistole heraus. Der Mann sprang seitwärts. Er schwang seinen Stock. Theodor sah sein weißes Angesicht. Noch hat er den Hahn nicht abgedrückt. Schon fliegt ihm die Waffe aus der schmerzhaft getroffenen Hand. Nahe an ihn tritt der Mann. Er sieht das Weiße der feindlichen Augen. Der Mann schreit: »Du hast Günther getötet!«
    Theodor flieht. Hinter sich hört er den heißen Atem seines Verfolgers. Auf den Schultern lastet der Hauch des feindlichen Mundes. Hinter sich hört er des Feindes eiligen Schritt. Auf lautlosen Sohlen läuft Theodor. Er läuft durch stille, ausgebrannte, gestorbene Straßen. Er läuft durch eine fremde Welt. Er läuft durch einen langen Traum. Er hört Schüsse, Trommeln, Wehgeschrei. Alle Geräusche sind in die Schicht eines weichen, dämpfenden Stoffes gebettet. Da kommt eine Biegung! Ist drüben die Rettung? Verdoppelt die Hast! Verstärkt den Galopp, beflügelt den Fuß! Jetzt sieht er zurück. Kein Verfolger ist hinter ihm. Er fällt auf eine Schwelle. Vor ihm liegt ein verlorenes Gewehr. Er hebt es auf. Er rennt weiter. Die Toten leben! Er haßt die Toten. Er gerät zwischen Soldaten. Jetzt erkennt er seine Leute. Fröhlicher Zuruf begrüßt ihn. Den Gewehrkolben stößt er gegen Leichen. Er schmettert die Waffe gegen tote Schädel. Sie bersten. Verwundete tritt er mit den Absätzen. Er tritt die Gesichter, die Bäuche, die schlaff hängenden Hände. Er nimmt Rache an den Toten, sie wollen nicht

Weitere Kostenlose Bücher