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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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irgendwo, wo Sie ihn immer im Blick haben, damit er Sie an die Gefahren erinnert, denen Sie ausgesetzt sind.«
    »Ich verstehe die Weisheit dieses Rates. Es erfordert viel Mut, ihn zu befolgen.«
    »Bento, es ist unbedingt notwendig, dass Sie diesen Mantel immer im Blickfeld haben. Ich glaube, Sie unterschätzen die Gefahren, die in Ihrer Situation nun auf Sie lauern. Gestern sind Sie fast umgekommen. Bestimmt fürchten Sie sich vor dem Tod?«
    Bento nickte. »Ja. Obwohl ich daran arbeite, diese Furcht zu überwinden.«
    »Wie? Jeder fürchtet sich vor dem Tod.«
    »Die Menschen fürchten sich unterschiedlich stark davor. Einige Philosophen aus der Antike, die ich gerade studiere, suchten nach Wegen, um die Angst vor dem Tod zu vermindern. Erinnern Sie sich an Epikur? Wir sprachen einmal über ihn.«
    Franco nickte. »Ja, der Mann, der sagte, der Zweck des Lebens bestehe darin, in einem Zustand der Seelenruhe zu leben. Was genau war der Begriff, den er benutzte?«
    » Ataraxia . Epikur glaubte, dass der größte Störenfried von ataraxia unsere Furcht vor dem Tode sei, und er lehrte seine Schüler mehrere machtvolle Argumente, um sie zu verringern.«
    »Was zum Beispiel?«
    »Nun, er geht davon aus, dass es kein Leben nach dem Tod gibt und dass wir nach unserem Tod von den Göttern nichts zu befürchten haben. Dann sagte er, dass Tod und Leben niemals koexistieren können. Mit anderen Worten: Wo Leben ist, ist kein Tod, und wo Tod ist, ist kein Leben.«
    »Das hört sich logisch an, aber ich bezweifle, dass es mitten in der Nacht zur Beruhigung taugt, wenn man gerade aus einem Alptraum erwacht, in dem man stirbt.«
    »Epikur hat allerdings noch ein Argument, das Symmetrie-Argument, das sogar noch mächtiger sein könnte. Es postuliert, dass der Zustand des Nichtseins nach dem Tod identisch mit dem Zustand des Nichtseins vor der Geburt ist. Und obwohl wir den Tod fürchten, empfinden wir kein Grauen, wenn wir an jenen früheren, identischen Zustand denken. Daher haben wir auch keinen Grund, den Tod zu fürchten.«
    Franco atmete hörbar ein. »Das weckt meine Aufmerksamkeit, Bento. Sie sagen die Wahrheit. Dieses Argument hat die Macht zu beruhigen.«
    »Wenn ein Argument ›die Macht hat zu beruhigen‹, unterstützt das die Vorstellung, dass kein Ding an und für sich wirklich gut oder schlecht, angenehm oder beängstigend ist. Es ist nur unser Geist, der es dazu macht. Denken Sie daran, Franco – es ist nur unser Geist, der es dazu macht . Diese Vorstellung hat wahre Macht, und ich bin überzeugt davon, dass sie den Schlüssel zur Heilung meiner Wunde in Händen hält. Was ich tun muss, ist, die Reaktion meines Geistes auf den Vorfall von letzter Nacht zu verändern. Aber ich habe bis jetzt noch nicht entdeckt, wie das gehen soll.«
    »Ich bin verblüfft, dass Sie selbst mitten in Ihrer Panik noch philosophieren können.«
    »Ich muss es als eine Gelegenheit zum Verstehen betrachten. Was kann wichtiger sein, als aus erster Hand zu lernen, die Furcht vor dem Tod zu verringern? Erst vor wenigen Tagen las ich einen Satz eines römischen Philosophen namens Seneca, der sagte: ›Kein Grauen wagt es, in das Herz einzudringen, das sich selbst von Todesfurcht gereinigt hat.‹ Mit anderen Worten: Hat man einmal die Todesfurcht besiegt, besiegt man auch jede andere Furcht.«
    »Allmählich beginne ich besser zu verstehen, weshalb Ihre Furcht Sie so sehr fasziniert.«
    »Das Problem wird klarer, doch die Lösung liegt noch immer im Verborgenen. Ich frage mich, ob ich den Tod im Augenblick deshalb so besonders fürchte, weil ich mich so ausgefüllt fühle.«
    »Wie bitte?«
    »Ich meine, mein Geist ist ausgefüllt. In meinem Kopf schwirren so viele unentwickelte Gedanken herum, und der Gedanke daran, dass es vielleicht Totgeburten sein könnten, schmerzt mich über alle Maßen.«
    »Dann passen Sie auf sich auf, Bento. Beschützen Sie diese Gedanken. Und beschützen Sie sich selbst. Obwohl Sie auf dem besten Weg zu einem großen Lehrer sind, sind Sie auf manche Art sehr naiv. Ich glaube, dass Sie dadurch, dass Sie selbst so wenig Hass empfinden, dessen Vorhandensein bei anderen unterschätzen. Hören Sie mich an: Sie sind in Gefahr und müssen Amsterdam verlassen . Sie müssen sich den Blicken der Juden entziehen. Führen Sie ein verborgenes Leben und schreiben Sie im Verborgenen.«
    »Ich glaube, in Ihnen keimt ein Lehrmeister. Sie geben mir gute Ratschläge, Franco, und bald schon, sehr bald schon, werde ich sie befolgen.

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