Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
glaube, dass wir die größte Hyperinflation aller Zeiten bekommen werden: Alle Deutschen werden verarmen, bis auf die Juden natürlich, die selbstverständlich von diesem Alptraum profitieren. Die Geldschränke in ihren Firmen platzen vor Gold und Fremdwährungen aus allen Nähten.
Mein Leben als Herausgeber ist so hektisch, dass ich das Büro nicht einmal zum Mittagessen verlassen, geschweige denn in den Zug steigen kann, um die zehnstündige, zwanzig Millionen Mark teure Fahrt nach Berlin anzutreten. Bitte lass mich wissen, ob sich Dir irgendwann die Möglichkeit bietet, nach München zu kommen, damit wir uns hier treffen könnten. Dafür wäre ich Dir außerordentlich dankbar. Hast Du jemals daran gedacht, hier in München zu praktizieren? Ich könnte Dir behilflich sein: Denk an die vielen kostenlosen Anzeigen, die ich für Dich schalten könnte.
Dr. Karl Abraham las den Brief und gab ihn dann Friedrich zurück. »Und was wollen Sie ihm antworten?«
»Ich weiß es nicht. Das würde ich gerne heute in meiner Supervisionssitzung diskutieren. Sie erinnern sich an ihn? Ich hatte Ihnen von meinem Gespräch mit ihm vor ein paar Monaten berichtet.«
»An den Herausgeber der Protokolle der Weisen von Zion ? Wie könnte ich den vergessen?«
»Seit damals habe ich Herrn Rosenberg nicht mehr getroffen. Nur ein paar Briefe gewechselt. Aber hier habe ich die gestrige Ausgabe seiner Zeitung des Völkischen Beobachters . Sehen Sie sich nur diese Schlagzeile an:
KINDESMISSBRAUCH IN WIENER BORDELL
VIELE JUDEN BETEILIGT
Dr. Abraham warf einen Blick auf die Schlagzeile, schüttelte angewidert den Kopf und fragte: »Und die Protokolle – haben Sie die gelesen?«
»Nur einige Auszüge und ein paar Kritiken, die sie als Fälschung apostrophieren.«
»Eine offensichtliche Fälschung, aber eine gefährliche. Und ich habe keinen Zweifel, dass Ihr Patient Rosenberg das auch wusste. Vertrauenswürdige jüdische Gelehrte in meiner Gemeinde erzählen mir, dass die Protokolle von Sergei Nilus, einem verrufenen russischen Schriftsteller, ausgeheckt wurden, der den Zaren davon überzeugen wollte, dass die Juden Russland zu dominieren versuchten. Nachdem der Zar die Protokolle gelesen hatte, ordnete er eine Reihe blutiger Pogrome an.«
»Nun«, sagte Friedrich, »meine Frage ist: Wie kann ich eine Therapie mit einem Patienten machen, der derart abscheuliche Taten begeht? Ich weiß, dass er gefährlich ist. Wie gehe ich mit meiner Gegenübertragung um?«
»Ich ziehe es vor, Gegenübertragung als die neurotische Reaktion des Therapeuten auf den Patienten zu betrachten. In diesem Fall haben Ihre Gefühle eine rationale Grundlage. Damit wäre die korrekte Frage: ›Wie arbeitet man mit jemandem, der, vom objektiven Standard aus betrachtet, ein widerwärtiger, bösartiger Mensch ist, der viel Unheil anrichten kann?‹«
Friedrich sann über die Worte seines Supervisors nach. »Widerwärtig, bösartig. Starke Worte.«
»Sie haben Recht, Herr Dr. Pfister – das waren meine Begriffe, nicht die Ihren, und ich glaube, Sie spielen richtigerweise auf ein anderes Thema an – die Gegenübertragung des Supervisors –, die mit meiner Fähigkeit, Sie zu unterrichten, kollidieren könnte. Da ich selbst Jude bin, ist es mir unmöglich, diesen hochgefährlichen, antisemitischen Menschen persönlich zu behandeln, aber vielleicht könnte ich Ihnen trotzdem als Supervisor nützlich sein. Erzählen Sie mir mehr über Ihre Gefühle ihm gegenüber.«
»Obwohl ich kein Jude bin, stößt mich sein Antisemitismus persönlich ab. Schließlich sind die Menschen, die mir hier am nächsten stehen, fast alles Juden – mein Analytiker, Sie und die meisten Leute der Fakultät des Instituts.« Friedrich nahm Alfreds Brief zur Hand. »Sehen Sie. Er schreibt voller Stolz über seinen beruflichen Aufstieg und erwartet, dass ich mich darüber freue. Aber ich fühle mich im Gegenteil zunehmend von ihm angegriffen und ängstige mich um Sie, um alle zivilisierten Deutschen. Ich glaube, dass er böse ist. Und sein Idol, dieser Hitler, mag sogar die Inkarnation des Teufels sein.«
»Das ist die eine Seite. Aber in Ihnen gibt es noch eine andere Seite, die ihn gerne wiedersehen möchte. Warum?«
»Es ist das, worüber wir schon einmal diskutiert haben – mein intellektuelles Interesse daran, jemanden zu analysieren, der die gleiche Vergangenheit hat wie ich. Ich kenne seinen Bruder schon mein ganzes Leben lang. Ich kannte Alfred schon, als er noch ein kleines Kind
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