Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
Buches finden. Ich habe gerade, erst angefangen. Es wird ein Fünfjahresprojekt werden – es ist noch so viel zu tun. Ich habe jedoch gerade einen Abschnitt für den Schluss geschrieben: ›Und die heilige Stunde des Deutschen wird dann eintreten, wenn das Symbol des Erwachens, die Fahne des aufsteigenden Lebens, das allein herrschende Bekenntnis des Reiches geworden ist.‹« Chamberlain grunzte. Vielleicht sagte er: »Ja, ja.«
Alfred lehnte sich im Stuhl zurück und sah sich um. Hitler war noch immer nicht in Sicht. Alfred beugte sich wieder zu Chamberlains Ohr: »Verehrter Lehrmeister, ich brauche Ihre Hilfe in einer Angelegenheit. Es geht um das Spinoza-Problem. Sagen Sie mir, wie es möglich ist, dass dieser Jude aus Amsterdam Werke schrieb, die von den größten deutschen Denkern, unter ihnen auch der unsterbliche Goethe, so sehr geschätzt wurden. Wie ist so etwas möglich?« Chamberlain zuckte erregt mit dem Kopf und artikulierte verworrene Geräusche, von denen Rosenberg nur » Ja, Ja« heraushören konnte. Kurz danach sackte Chamberlain zusammen und schlief tief und fest.
Auf der Heimfahrt sprachen die beiden Männer wenig über Chamberlain, denn Alfred hatte ein anderes Anliegen: Er wollte Hitler davon überzeugen, dass es nun an der Zeit sei, dass die Partei in Aktion trete. Alfred erinnerte Hitler an die grundlegenden Fakten: »Das Chaos hat ganz Deutschland erfasst«, sagte Alfred. »Die Inflation gerät außer Kontrolle. Vor vier Monaten war ein Dollar noch fünfundsiebzigtausend Mark wert, und gestern waren es hundertfünfzig Millionen Mark. Gestern hat ein Pfund Kartoffeln bei meinem Krämer um die Ecke neunzig Millionen Mark gekostet. Und ich bin mir völlig sicher, dass die Wertpapiermaschinen in Kürze Eine-Trillion-Mark-Scheine drucken werden.«
Hitler nickte müde. Das alles hatte er schon mehrmals von Alfred gehört.
»Und überall um uns herum gibt es Staatsstreiche«, fuhr Alfred fort. »Der Putsch der Kommunisten in Sachsen, der Putsch der Reservisten der Reichswehr in Ostpreußen, der Kapp-Putsch in Berlin, der Staatsstreich der rheinischen Separatisten. Aber das eigentliche Pulverfass, das zu explodieren droht, ist München und ganz Bayern. In München tummeln sich unzählige Parteien des rechten Flügels, die sich gegen die Regierung in Berlin stellen. Aber von denen sind wir bei weitem die stärkste, die mächtigste und die am besten organisierte Partei. Jetzt ist unsere Zeit gekommen! Ich heize die Stimmung des Volkes mit immer neuen Artikeln in unserer Zeitung an und bereite sie auf eine große Aktion der Partei vor.«
Hitler schien noch immer unsicher. Alfred drängte ihn: »Ihre Zeit ist gekommen. Sie müssen jetzt handeln, oder Sie verpassen diese einmalige Chance.«
Als der Wagen am Bürogebäude des Völkischen Beobachters anhielt, sagte Hitler nur: »Viel nachzudenken, Rosenberg.«
Ein paar Tage später besuchte Hitler Alfred in seinem Büro und wedelte grinsend mit einem Brief vor seiner Nase, den er von Houston Stewart Chamberlain erhalten hatte. Er las ihn ihm auszugsweise vor:
»7. Oktober 1923
Sehr geehrter und lieber Herr Hitler.
Sie haben alles Recht, diesen Überfall nicht zu erwarten, haben Sie doch mit eigenen Augen erlebt, wie schwer ich Worte auszusprechen vermag. Jedoch ich vermag dem Drange, einige Worte mit Ihnen zu sprechen, nicht zu widerstehen.
Es hat meine Gedanken beschäftigt, wieso gerade Sie, der Sie in so seltenem Grade ein Erwecker der Seelen aus Schlaf und Schlendrian sind, mir einen so langen erquickenden Schlaf neulich schenkten, wie ich einen ähnlichen nicht erlebt habe seit dem verhängnisvollen Augusttag 1914, wo das tückische Leiden mich befiel. Jetzt glaube ich einzusehen, daß dies grade Ihr Wesen bezeichnet und sozusagen umschließt: der wahre Erwecker ist zugleich Spender der Ruhe …
Daß Sie mir Ruhe gaben, liegt sehr viel an Ihrem Auge und an Ihren Handgebärden. Ihr Auge ist gleichsam mit Händen begabt, es erfaßt den Menschen und hält ihn fest, und es ist Ihnen eigentümlich, in jedem Augenblicke die Rede an einen Besonderen unter Ihren Zuhörern zu richten. Und was die Hände anbetrifft, sie sind so ausdrucksvoll in ihren Bewegungen, daß sie hierin mit Augen wetteifern. Solch ein Mann kann schon einem armen geplagten Geist Ruhe spenden! Und nun gar, wenn er dem Dienste des Vaterlandes gewidmet ist.
Mein Glauben an das Deutschtum hat nicht einen Augenblick gewankt, jedoch hatte mein Hoffen – ich gestehe es – eine
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