Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
Verlust von Getrenntsein als aus einer Verbindung . Sie sehen also, dass es einen Unterschied gibt – den Unterschied zwischen Menschen, die sich aneinanderschmiegen, um einander zu wärmen und sich sicher zu fühlen, und den Menschen, denen eine aufgeklärte, freudige Sicht auf die Natur oder Gott gemeinsam ist.«
Franco, der noch immer einen verwirrten Eindruck machte, sagte: »Ich versuche zu verstehen, Bento, aber es ist nicht einfach, weil ich diese Erfahrung nie gemacht habe. Seine eigene Identität zu verlieren – das kann ich mir nur schwer vorstellen. Allein der Gedanke daran bereitet mir Kopfschmerzen. Und es kommt mir so einsam, so kalt vor.«
»Einsam, und dennoch kann diese Idee paradoxerweise alle Menschen miteinander verbinden – es ist gleichzeitig getrennt voneinander und ein Teil von. Ich empfehle die Einsamkeit nicht, und ich ziehe sie auch nicht vor. Tatsächlich habe ich keinen Zweifel daran, dass unser Streben nach Verständnis, vorausgesetzt, Sie und ich könnten uns jeden Tag zu Gesprächen treffen, außerordentlich beflügelt würde. Es hört sich paradox an, wenn ich sage, dass Menschen einander am nützlichsten sind, wenn jeder seinen eigenen Vorteil verfolgt. Wenn es Menschen der Vernunft sind, ist es tatsächlich so. Aufgeklärter Egoismus führt zu gemeinsamem Nutzen. Unsere Fähigkeit, vernünftig zu denken, ist uns allen gemeinsam, und ein wahres irdisches Paradies wird entstehen, wenn unser Bekenntnis zum Verständnis der Natur oder von Gott alle unsere anderen Zugehörigkeiten ersetzt, seien sie religiös, kulturell oder national.«
»Bento, wenn ich Sie recht verstehe, dann befürchte ich, dass diese Art von Paradies noch tausend Jahre entfernt ist. Und ich frage mich auch, ob ich oder irgendjemand, der nicht Ihren Geist, Ihre Auffassungsgabe und Ihren Tiefgang besitzt, in der Lage sein wird, diese Ideen voll und ganz zu begreifen.«
»Ich bezweifle nicht, dass es einiger Anstrengungen bedarf. Alles, was herausragend ist, ist schwierig, weil es so selten ist. Doch habe ich eine Gemeinschaft von Kollegianten und anderen Philosophen, die meine Worte lesen und verstehen, obwohl es auch zutrifft, dass viele von ihnen mir viel zu viele Briefe schreiben, in denen sie um mehr Aufklärung bitten. Ich erwarte nicht, dass meine Ideen vom unvorbereiteten Leser gelesen und verstanden werden. Ganz im Gegenteil: Viele würden verwirrt und beunruhigt sein, und ihnen kann ich nur raten, mein Werk nicht zu lesen. Ich schreibe für die philosophischen Köpfe auf Latein, und ich hoffe nur, dass manche dieser Köpfe, die ich beeinflusse, wiederum andere beeinflussen werden. Derzeit sind beispielsweise Johan de Witt, unser bedeutender Ratspensionär, und Henry Oldenburg, der Sekretär der British Royal Society, unter meinen Korrespondenten. Aber falls Sie glauben, dass mein Werk niemals für eine größere Leserschaft veröffentlicht werden könnte, werden Sie vielleicht Recht behalten. Es ist sehr gut möglich, dass meine Ideen Tausende von Jahren lang warten müssen.«
Die beiden Männer verfielen in Schweigen, bis Bento hinzufügte: »Nun, in Anbetracht dessen, was ich über mein Vertrauen in die Vernunft sagte: Verstehen Sie nun, weshalb ich dagegen bin, Worte und Gebete ohne Rücksicht auf ihren Inhalt zu lesen oder zu sprechen? Diese innere Kluft kann für Ihre seelische Gesundheit nicht gut sein. Ich glaube nicht, dass Rituale mit dem wachsamen, vernunftbegabten Kopf koexistieren können. Ich glaube, sie sind ausgesprochene Antagonisten.«
»Ich halte Rituale nicht für gefährlich, Bento. Bedenken Sie, dass ich mit dem Glauben und den Ritualen der Katholiken und auch der Juden indoktriniert wurde, und seit zwei Jahren studiere ich nun auch noch den Islam. Je mehr ich lese, desto mehr gewinne ich den Eindruck, dass jede Religion, und zwar ohne Ausnahme, ein Gemeinschaftsgefühl hervorruft, Rituale und Musik verwendet und eine Mythologie herausbildet, die voller Geschichten über wundersame Ereignisse ist. Und ausnahmslos jede Religion verspricht ein ewiges Leben, vorausgesetzt, man lebt nach irgendwelchen vorgegebenen Geboten. Ist es nicht bemerkenswert, dass Religionen, die unabhängig voneinander in unterschiedlichen Teilen der Welt entstehen, einander so ähnlich sind?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich will auf folgendes hinaus, Bento: Wenn Rituale, Zeremonien und, jawohl, auch Aberglaube so tief in der eigentlichen Natur des Menschen eingebettet sind, ist es vielleicht legitim,
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