Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
1670 im Alter von achtunddreißig Jahren seinen Theologisch-Politischen Traktat . Sein Verleger prophezeite völlig zu Recht, dass das Buch als aufrührerisch angesehen würde. Deshalb wurde es anonym veröffentlicht, unter der Imprimatur fiktiver Verlage in fiktiven Städten. Der Verkauf wurde von zivilen wie auch religiösen Autoritäten eilig verboten. Gleichwohl zirkulierten zahlreiche Exemplare im Untergrund.
Ein paar Monate später übersiedelte Spinoza von Voorburg nach Den Haag, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Zuerst mietete er eine bescheidene Dachkammer im Haus der Witwe van der Werve und dann, ein paar Monate später, sogar noch preiswertere Unterkünfte – ein einziges, großes Zimmer im Haus von Hendrik van der Spyck, einem Meistermaler von Innenräumen. Ein Leben der Beschaulichkeit – das war es, was Spinoza wollte und was er in Den Haag auch fand. Dort verbrachte er seine Tage damit, die großen Werke in seiner Bibliothek zu lesen, an der Ethik zu arbeiten und Linsen zu schleifen. An den Abenden rauchte er seine Pfeife und plauderte mit van der Spyck, dessen Frau und deren sieben Kindern, wenn er nicht zu sehr in seine Arbeit vertieft war, um sein Zimmer zu verlassen, was oft mehrere Tage hintereinander der Fall sein konnte. An Sonntagen begleitete er die Familie manchmal in die nahegelegene Nieuwe Kerk und lauschte der Predigt.
Ein Husten, der sich nie besserte und oft von blutigem Auswurf begleitet war, schwächte ihn von Jahr zu Jahr mehr. Vielleicht hatte das ständige Einatmen des Glasstaubs während seines optischen Arbeitens seine Lungen geschädigt, aber aller Wahrscheinlichkeit nach litt er wie seine Mutter und andere Familienmitglieder an Tuberkulose. Am zwanzigsten Februar 1677 fühlte er sich so schwach, dass er einen Arzt kommen ließ, der Frau van der Spyck anwies, ein altes Huhn zu kochen und Spinoza die fette Brühe einzuflößen. Sie folgte seinen Anweisungen, und am folgenden Morgen schien es ihm besser zu gehen. Die Familie ging am Nachmittag in die Kirche, und als sie zwei Stunden später zurückkehrte, war Spinoza im Alter von vierundvierzig Jahren gestorben.
Spinoza lebte seine Philosophie: Er erreichte Amor dei intellectualis , befreite sich von der Knechtschaft störender Leidenschaften und blickte seinem Lebensende mit heiterer Gelassenheit entgegen. Doch hinterließen dieses stille Leben und dieser stille Tod in ihrem Gefolge große Turbulenzen, die selbst bis zum heutigen Tag für Aufruhr sorgen: Viele verehren ihn und wollen ihn wiederauferstehen lassen, während andere ihn ausstoßen und auf das Schärfste kritisieren.
Obwohl er kein Testament hinterließ, war es ihm doch wichtig, seinen Vermieter anzuweisen, im Falle seines Todes seinen Schreibtisch und dessen Inhalt umgehend an seinen Verleger Rieuwertsz nach Amsterdam zu schicken. Van der Spyck kam Spinozas Wunsch nach: Er machte den Schreibtisch transportfertig und schickte ihn mit der Trekschuit nach Amsterdam, wo er unversehrt eintraf. Die versperrten Schubladen enthielten die Ethik und andere kostbare, noch unveröffentlichte Manuskripte sowie Korrespondenz.
Bentos Freunde machten sich sofort an die Arbeit, die Unterlagen zu editieren. Entsprechend Spinozas Anweisungen entfernten sie alle persönlichen Passagen aus den Briefen und bewahrten nur deren philosophische Inhalte.
Wenige Monate nach Spinozas Tod wurden seine Posthumen Werke (welche die Ethik , den unvollendeten Tractatus politicus und De Intellectus Emendatione , eine Auswahl aus dem Briefwechsel Spinozas sowie ein Kompendium der hebräischen Grammatik und den Traktat über den Regenbogen enthielten) sowohl auf Holländisch als auf Lateinisch veröffentlicht, wiederum ohne den Namen des Verfassers, mit einem fiktiven Verleger und einem falschen Veröffentlichungsort. Wie erwartet, ächtete der holländische Staat das Buch sofort per öffentlichen Erlass, in welchem er es der profanen Gotteslästerung und atheistischer Ansichten bezichtigte.
Als sich die Nachricht von Spinozas Tod verbreitete, tauchte Rebecca, die ihn einundzwanzig Jahre lang gemieden hatte, plötzlich wieder aus der Versenkung auf und präsentierte sich und ihren Sohn Daniel als Bentos einzige gesetzliche Erben. Als van der Spyck ihr allerdings eine Aufstellung der Habseligkeiten und Schulden Spinozas aushändigte, überlegte sie es sich anders: Bentos Schulden aus Mietrückständen, die Beerdigungskosten, Außenstände für den Barbier und den Apotheker waren
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