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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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bedeutet es dir, dass der Mann, den du am meisten von allen bewunderst, einen Juden zu dem Mann wählt, den er am meisten von allen bewundert?«
    »Einen Juden?«
    »Wusstest du nicht, dass Spinoza Jude war?«
    Schweigen.
    »Du hast in den vergangenen Wochen nichts über ihn herausgefunden?«
    »Herr Direktor, ich weiß nichts über diesen Spinoza. Das gehörte nicht zu meiner Aufgabe.«
    »Und deshalb hast du gottlob den gefürchteten Schritt vermieden, etwas Zusätzliches zu lernen? Ist es so, Rosenberg?«
    »Lass es mich anders ausdrücken«, warf Herr Schäfer ein. »Denk an Goethe. Was hätte er wohl in dieser Situation gemacht? Hätte jemand von Goethe verlangt, die Autobiographie eines ihm Unbekannten zu lesen, was hätte Goethe wohl getan?«
    »Er hätte sich über diese Person informiert.«
    »Ganz genau. Das ist wichtig. Wenn du jemanden bewunderst, eifere ihm nach. Lass dich von ihm führen.«
    »Danke, Herr Professor.«
    »Lass uns dennoch mit meiner Frage fortfahren«, sagte Direktor Epstein. »Wie erklärst du Goethes grenzenlose Bewunderung und Dankbarkeit einem Juden gegenüber?«
    »Wusste Goethe, dass er Jude war?«
    »Gütiger Gott. Natürlich wusste er es.«
    »Aber Rosenberg«, sagte Herr Schäfer, der nun ebenfalls ungeduldig wurde, »denk über deine Frage nach. Was macht es für einen Unterschied, ob er wusste, dass Spinoza Jude war? Wieso stellst du diese Frage überhaupt? Glaubst du, ein Mann von Goethes Format – du selbst hast ihn als das größte Genie aller Zeiten bezeichnet – würde große Ideen nicht unabhängig von ihrer Quelle mit offenen Armen empfangen?«
    Alfred schwirrte der Kopf. Noch nie war er so mit Fragen bombardiert worden. Aber Direktor Epstein, der eine Hand auf Herrn Schäfers Arm legte, zeigte kein Erbarmen.
    »Meine hauptsächliche Frage an dich ist immer noch nicht beantwortet: Wie erklärst du dir, dass die Gedanken eines Angehörigen einer minderwertigen Rasse für das größte deutsche Genie aller Zeiten so hilfreich waren?«
    »Vielleicht ist es so wie bei Herrn Dr. Apfelbaum. Vielleicht kann es durch Mutation einen guten Juden geben, auch wenn die Rasse an sich verdorben und minderwertig ist.«
    »Das ist keine akzeptable Antwort«, sagte der Direktor. »Es ist eine Sache, über einen Arzt zu sprechen, der freundlich ist und seinen gewählten Beruf tadellos ausübt. Aber etwas ganz anderes ist es, so von einem Genie zu sprechen, das vielleicht den Lauf der Geschichte verändert hat. Und es gibt viele andere Juden, deren Genialität bestens bekannt ist. Denke an sie. Ich darf dich an die erinnern, die du selbst kennst, von denen du aber vielleicht nicht wusstest, dass es Juden waren. Herr Schäfer sagt mir, dass du im Unterricht die Gedichte von Heinrich Heine aufgesagt hast. Und er sagt mir auch, dass du Musik magst. Ich kann mir also vorstellen, dass du dir die Musik von Gustav Mahler und Felix Mendelssohn angehört hast. Richtig?«
    »Das sind alles Juden, Herr Direktor?«
    »Ja, und du weißt bestimmt, dass Disraeli, der große Premierminister von England, ein Jude war?«
    »Das wusste ich nicht, Herr Direktor.«
    »Ja. Und im Augenblick wird in Riga die Oper Hoffmanns Erzählungen aufgeführt, die Jakob Offenbach komponiert hat, ein weiterer Mann, der als Jude geboren wurde. So viele Genies. Was ist deine Erklärung dafür?«
    »Ich kann die Frage nicht beantworten. Ich muss darüber nachdenken. Darf ich bitte gehen, Herr Direktor? Ich fühle mich nicht gut. Ich verspreche, dass ich darüber nachdenken werde.«
    »Ja, du darfst gehen«, sagte der Direktor. »Und ich wünsche mir in deinem eigenen Interesse wirklich sehr, dass du nachdenkst. Denken ist gut. Denk über unser heutiges Gespräch nach. Denk über Goethe und den Juden Spinoza nach.«
    Nachdem Alfred gegangen war, sahen sich Direktor Epstein und Herr Schäfer kurz an, bevor der Direktor das Wort ergriff. »Er sagt, er wird darüber nachdenken, Hermann. Wie stehen die Chancen, dass er das tun wird?«
    »Nahe null, würde ich sagen«, meinte Herr Schäfer. »Lassen wir ihn den Abschluss machen, und dann sind wir ihn los. Ihm fehlt es an Neugier, was aller Wahrscheinlichkeit nach unheilbar ist. Wo immer wir seinen Geist anbohren, werden wir auf einen soliden Granit unbegründeter Überzeugungen treffen.«
    »Du hast Recht. Ich habe keinen Zweifel, dass er Goethe und Spinoza schon jetzt, während wir hier sprechen, eiligst aus seinen Gedanken verbannt und dass sie ihn nie wieder beschäftigen werden.

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