Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
niemals öffentlich zu machen. Außerdem zweifle ich ebenfalls an vielen Dingen. Möglicherweise teile ich sogar manche Ihrer Gefühle. Und zweitens droht hier in Holland keine Gefahr; hier gibt es keine Inquisition. Weder in diesem Laden hier noch in dieser Gemeinde, auch nicht in dieser Stadt und nicht einmal in diesem Land. Amsterdam ist seit vielen Jahren von der iberischen Halbinsel unabhängig. Das wissen Sie doch, oder?«
»Ja«, antwortete Franco zaghaft.
»Und trotzdem verhält sich ein Teil Ihrer Seele, den Sie nicht unter Kontrolle haben, so, als drohte eine große, unmittelbare Gefahr. Ist es nicht bemerkenswert, wie gespalten unsere Seele ist? Wie sehr unsere Vernunft, der vornehmste Teil unserer Seele, von unseren Emotionen geknechtet wird?«
Franco zeigte sich nicht beeindruckt.
Bento zögerte. Er empfand sowohl wachsende Ungeduld als auch das Gefühl, einen Auftrag, ja fast eine Pflicht erfüllen zu müssen. Aber wie fortfahren? Erwartete er von Franco zu viel zu schnell? Er rief sich viele Gelegenheiten ins Gedächtnis, als seine eigene Vernunft nicht in der Lage gewesen war, seine Ängste zu bezwingen. Erst am vorhergehenden Abend war es so gewesen, als er gegen den Strom der Menschen gegangen war, die auf dem Weg zum Sabbat-Gottesdienst in der Synagoge waren.
Schließlich beschloss er, seinen einzigen verfügbaren Hebel anzusetzen, und sagte so einfühlsam, wie er konnte: »Sie baten mich darum, Ihnen zu helfen. Ich war damit einverstanden. Aber wenn Sie meine Hilfe möchten, müssen Sie mir vertrauen. Sie müssen mir helfen, Ihnen zu helfen. Verstehen Sie?«
»Ja«, sagte Franco und seufzte.
»Nun, dann besteht Ihr nächster Schritt darin, Ihre Ängste auszusprechen.«
Franco schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Sie sind so schrecklich. Und sie sind gefährlich.«
»Nicht zu schrecklich, um dem Lichte der Vernunft zu widerstehen. Und ich zeigte Ihnen gerade, dass sie nicht gefährlich sind, wenn nichts zu befürchten ist. Nur Mut! Jetzt ist die Zeit, sich ihnen zu stellen. Wenn Sie es nicht tun, dann sage ich Ihnen nochmals« – Bentos Stimme wurde eindringlich –, »dass es keinen Sinn hat, dass wir uns noch einmal treffen.«
Franco holte tief Luft und begann: »Heute in der Synagoge hörte ich die Rezitationen der Heiligen Schrift in einer fremden Sprache. Ich verstand nichts …«
»Aber Franco«, unterbrach Jacob, » natürlich hast du nichts verstanden. Ich sage dir immer wieder, dass dieses Problem ein vorübergehendes ist. Der Rabbi erteilt Hebräischunterricht. Geduld, Geduld.«
»Und ich sage dir immer wieder«, schoss Franco zurück, und in seine Stimme mischte sich nun Wut, »dass es nicht nur die Sprache ist. Höre mir nur einmal zu! Es ist das ganze Spektakel. Heute Morgen in der Synagoge schaute ich mich um und sah alle mit ihren kostbar bestickten Scheitelkäppchen, den blauen und weißen Gebetsschals mit den Fransen, ich sah, wie sie ihre Köpfe wie Papageien am Fressnapf ruckartig vor und zurück bewegten und den Blick zum Himmel richteten. Ich hörte es, ich sah es, und ich dachte … Nein, ich kann nicht sagen, was ich dachte.«
»Sag es, Franco«, bat Jacob. »Erst gestern hast du mir bestätigt, dass das hier der Lehrer ist, nach dem du gesucht hast.«
Franco schloss die Augen. »Ich dachte: Was ist der Unterschied zwischen diesem Spektakel und dem Spektakel – nein, ich will es geradeheraus sagen – und dem Unsinn , der während der katholischen Messe stattfand, die wir Neuchristen besuchen mussten? Weißt du noch, Jacob, wie wir als Kinder nach der Messe immer über die Katholiken gespottet haben? Wir spotteten über diese absonderlichen Kostüme der Priester, über die endlosen, grausamen Darstellungen der Kreuzigung, die Anbetung der Knochensplitter von Heiligen, die Oblaten und den Wein, und dass sie das Fleisch aßen und das Blut tranken.« Franco erhob seine Stimme: »Jüdisch oder katholisch … es gibt keinen Unterschied … es ist Wahnsinn. Es ist alles Wahnsinn.«
Jacob setzte sein Scheitelkäppchen auf, legte eine Hand darauf und stimmte leise einen Gesang auf Hebräisch an. Auch Bento war erschüttert und suchte sorgfältig nach den richtigen, den behutsamsten Worten. »Solche Gedanken zu denken und dann zu glauben, dass Sie der Einzige sind. Sich mit Ihren Zweifeln allein zu fühlen. Das muss schrecklich sein.«
Franco fuhr hastig fort: »Es gibt noch etwas, einen noch viel schlimmeren Gedanken. Ich denke ständig daran, dass mein Vater
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