Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
für diesen Wahnsinn sein Leben geopfert hat. Für diesen Wahnsinn hat er uns alle in Gefahr gebracht – mich, seine Eltern, meine Mutter, meinen Bruder, meine Schwestern.«
Jacob konnte nicht an sich halten. Er trat näher, beugte seinen riesigen Kopf zu Francos Ohr und sagte nicht unfreundlich: »Vielleicht weiß der Vater mehr als der Sohn.«
Franco schüttelte den Kopf, öffnete den Mund, sagte dann aber nichts.
»Und denke auch darüber nach«, fuhr Jacob fort, »dass deine Worte dem Tod deines Vaters den Sinn nehmen. Solche Gedanken zu denken machen seinen Tod wirklich zu einem verschwendeten Tod. Er starb, um den Glauben für dich heilig zu halten.«
Franco sah zerknirscht aus und beugte den Kopf.
Bento wusste, dass er eingreifen musste. Zuerst wandte er sich an Jacob und sagte ruhig: »Noch vor einem Augenblick baten Sie Franco inständig, sich alles von der Seele zu reden. Und wäre es nun, da er genau das tut, was Sie wollten, nicht besser, ihn zu ermutigen, als ihn zum Schweigen zu bringen?«
Jacob trat einen halben Schritt zurück. Bento fuhr im gleichen, ruhigen Tonfall fort, diesmal an Franco gewandt: »In welchem Dilemma müssen Sie sich nur befinden, Franco. Jacob behauptet, der Märtyrertod Ihres Vaters sei ein verschwendeter Tod gewesen, wenn Sie nicht an etwas glauben, was Sie für nicht glaubwürdig halten. Und wer wollte seinem eigenen Vater schon Leid zufügen? Es ist ein steiniger Weg, selbständig zu denken. Ein steiniger Weg, uns zu vervollkommnen, indem wir unsere gottgegebene Fähigkeit nutzen, vernünftige Schlüsse zu ziehen.«
Jacob schüttelte den Kopf. »Moment, Moment, das, was Sie zuletzt über die gottgegebene Fähigkeit sagten – vernünftige Schlüsse zu ziehen? Das habe ich nicht gesagt. Sie verdrehen alles. Sie sprechen über Vernunft? Ich zeige Ihnen, was Vernunft ist. Benutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand. Öffnen Sie die Augen. Ich möchte, dass Sie vergleichen! Sehen Sie Franco an. Er leidet, er weint, er winselt um Gnade, er verzagt. Sehen Sie ihn?«
Bento nickte.
»Und nun sehen Sie mich an: Ich bin stark. Ich liebe das Leben. Ich kümmere mich um ihn. Ich habe ihn vor der Inquisition gerettet. Ich werde von meinem Glauben und der Gemeinde meiner jüdischen Glaubensbrüder getragen. Mich tröstet das Wissen, dass unsere Glaubensgemeinschaft und unsere Tradition fortbestehen. Vergleichen Sie uns beide mit Ihrer kostbaren Vernunft und sagen Sie mir, weiser Mann, was die Vernunft daraus schließt.«
Falsche Ideen liefern falschen und fragilen Trost, dachte Bento. Aber er hielt seine Zunge im Zaum.
Jacob bohrte weiter: »Und wenden Sie das auf sich selbst an, Gelehrter. Was sind wir, was sind Sie ohne unsere Gemeinde, ohne unsere Traditionen? Können Sie mutterseelenallein auf der Welt leben? Wie ich höre, werden Sie sich keine Frau zum Weibe nehmen. Was für ein Leben können Sie ohne Mitmenschen führen? Ohne Familie? Ohne Gott?«
Bento, der Konflikten immer aus dem Weg ging, war entsetzt von Jacobs Schmähworten.
Jacob wandte sich an Franco und sagte mit sanfterer Stimme: »Du wirst dich so geborgen fühlen wie ich, wenn du erst einmal den Text und die Gebete verstehst, wenn du verstehst, was alles bedeutet.«
»Mit dieser Aussage bin ich einverstanden«, sagte Bento und versuchte damit, Jacob zu beschwichtigen. »Zu Ihrem Schock, Franco, gesellt sich noch Fassungslosigkeit. Alle Marranen, die Portugal verlassen müssen, sind verwirrt; sie müssen erst einmal wieder lernen, Juden zu sein, müssen wie ein Kind ganz von vorne mit dem aleph, bet, gimmel beginnen. Drei Jahre lang war ich Assistent des Rabbiners bei seinen Hebräischkursen für Marranen, und ich versichere Ihnen, dass Sie schnell lernen werden.«
»Nein«, beharrte Franco, der nun wieder dem widerspenstigen Franco ähnelte, den Bento vom Fenster aus gesehen hatte. »Weder du , Jacob Mendoza, hörst mir zu, noch Sie hören mir zu, Bento Spinoza. Ich sage es noch einmal: Es ist nicht die Sprache . Ich kann kein Hebräisch, aber heute Morgen in der Synagoge las ich während des Gottesdienstes die spanische Übersetzung der heiligen Thora. Sie ist voller Wunder. Gott teilt das Rote Meer, er überschüttet die Ägypter mit Plagen, Er spricht in der Verkleidung eines brennenden Busches. Warum geschahen alle Wunder damals , zur Zeit der Thora? Sagt mir beide: Ist die Zeit der Wunder vorüber? Hat sich der große, allmächtige Gott schlafen gelegt? Wo war dieser Gott, als mein Vater auf dem
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