Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
unbändige Sehnsucht nach einem Wechsel. Gierig wartete er auf das Kommen des deutschen Heilands – auf einen Mann mit außerordentlicher Stärke und außergewöhnlichem Charisma, der Deutschland zu seiner rechtmäßigen ruhmvollen Position führen sollte. Er erkannte sofort, dass dieser junge, gutaussehende Rosenberg nicht dieser Mann war: Rosenbergs erbärmliches Trachten nach Anerkennung trat hinter seinem dreisten Auftreten allzu offensichtlich zutage. Aber vielleicht konnte er ja eine Rolle spielen, wenn es galt, für den, der da kommen sollte, den Weg zu ebnen.
Am folgenden Tag saß Alfred in Eckarts Büro, schlug die Beine ständig nervös übereinander und beobachtete den Journalisten, der die von ihm verfassten tausend Wörter las.
Eckart nahm die Brille ab und sah Alfred an: »Für einen, der ein Diplom in Architektur hat und noch nie eine solche Prosa geschrieben hat, würde ich sagen, dass diese Arbeit nicht völlig hoffnungslos ist. Es stimmt zwar, dass diese tausend Wörter nicht einen einzigen grammatikalisch richtigen Satz beinhalten, aber trotz dieser lästigen Tatsache besitzt Ihr Werk eine gewisse Kraft. Es hat Spannung, Intelligenz und Komplexität, und ich finde darin sogar ein paar, wenn auch nicht genügend anschauliche Beschreibungen. Hiermit darf ich Ihnen verkünden, dass Ihre journalistische Jungfräulichkeit ein Ende hat: Ich werde diesen Artikel veröffentlichen. Aber vor Ihnen liegt eine Menge Arbeit: Jeder einzelne Satz schreit geradezu um Hilfe. Schieben Sie Ihren Stuhl zu mir, Alfred. Wir werden Ihren Artikel Zeile für Zeile durchgehen.«
Eifrig rückte Alfred seinen Stuhl neben Eckart.
»Das hier ist Ihre erste Lektion in Journalismus«, fuhr Eckart fort. »Die Aufgabe eines Schreibers ist es zu kommunizieren. Doch ach, viele Ihrer Sätze sind sich dieses einfachen Diktums nicht bewusst und versuchen stattdessen, zu verschleiern oder zu vermitteln, dass der Autor viel mehr weiß, als er sagen will. Auf die Guillotine mit all diesen Sätzen. Sehen Sie, hier, hier und hier.« Dietrich Eckarts roter Stift tanzte mit schwindelerregender Schnelligkeit über den Text, und Alfred Rosenbergs Lehrzeit nahm ihren Anfang.
Alfreds redigiertes Werk wurde innerhalb einer Serie »Das Judentum in und außer uns« veröffentlicht, und bald schon verfasste er mehrere weitere Augenzeugenberichte über das bolschewistische Chaos, die nach und nach stilistische Verbesserungen aufwiesen. Nach ein paar Wochen stand er als Eckarts Assistent auf der Gehaltsliste, und nach wenigen Monaten war Eckart so zufrieden, dass er Alfred bat, das Vorwort zu seinem Buch Totengräber Russlands zu schreiben, das in blutrünstigen Einzelheiten schilderte, wie die Juden die zaristische Regierung in Russland unterminiert hatten.
Dies waren Alfreds glückliche Tage, und bis zu seinem Lebensende sollte er vor Freude strahlen, wenn er an die Zeit zurückdachte, als er Seite an Seite mit Eckart gearbeitet und ihn im Taxi begleitet hatte, wenn sie Eckarts feuriges Flugblatt An alle Werktätigen über ganz München verteilten. Endlich hatte Alfred ein Zuhause, einen Vater, eine Bestimmung.
Von Eckart ermuntert, schloss er seine Geschichtsforschung über die Juden ab und veröffentlichte innerhalb eines Jahres sein erstes Buch Die Spur des Juden im Wandel der Zeiten . Es barg die Saat dessen, was sich später zu den wichtigsten Motiven des nationalsozialistischen Antisemitismus entwickeln sollte: der Jude als Ursprung destruktiven Materialismusses, von Anarchie und Kommunismus, die Gefahren des jüdischen Freimaurertums, die heimtückischen Träume jüdischer Philosophen von Esra und Ezechiel bis Marx und Trotzki und vor allem anderen die Bedrohung höherer Zivilisationen durch eine Verschmutzung mit jüdischem Blut.
Unter Eckarts Führung machte Alfred sich zunehmend klar, dass der deutsche Werktätige, von jüdischen Wucherern schon in die Knie gezwungen, von christlicher Ideologie noch weiter unterjocht und geknebelt wurde. Eckart gewöhnte sich daran, sich bei geschichtlichen Zusammenhängen auf Alfred zu verlassen, nicht nur im Zusammenhang mit dem Antisemitismus, sondern auch wenn es galt, der Entwicklung des Jesuitentums aus dem Judentum des Talmud nachzuspüren, um damit auch mächtige, antichristliche Stimmungen zu schüren.
Eckart nahm seinen jungen Protégé zu radikalen politischen Kundgebungen mit und machte ihn mit einflussreichen Politikern bekannt. Bald stellte er sich für Alfred als Bürgen für eine
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