Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
»So sehr ich es mir gewünscht hätte, dass es in der Familie bliebe, weiß ich nun, dass es nicht so sein wird. Gabriel hat mir deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr meine Angelegenheiten die ganze Familie betreffen. Leider wird euch das, was ich euch jetzt zu erzählen habe, erschrecken. Es fällt mir schwer, aber ich muss euch alles erzählen. Ich möchte nicht, dass irgendjemand in der Gemeinde, wirklich niemand in der Gemeinde, mehr darüber weiß als ihr, was geschehen wird.«
Bento hielt inne. Er hatte die volle Aufmerksamkeit seines Bruders und seiner Schwester, die zu Salzsäulen erstarrt auf ihren Stühlen saßen. Bento holte tief Luft: »Ich komme direkt zum Kern der Sache. Heute Morgen sagte mir Rabbi Mortera, dass die Parnassim zusammengekommen sind und dass ein Cherem unmittelbar bevorsteht. Ich werde morgen exkommuniziert.«
»Ein Cherem ?«, riefen Gabriel und Rebecca wie aus einem Mund. Beide waren aschfahl im Gesicht.
»Und es gibt nichts, was das verhindern könnte?«, wollte Rebecca wissen. »Rabbi Mortera wird sich nicht für dich einsetzen? Unser Vater war sein bester Freund!«
»Ich sprach gerade eine Stunde lang mit Rabbi Mortera, und er sagte mir, dass es nicht in seiner Hand läge – die Parnassim werden von der Gemeinde gewählt und halten die ganze Macht in Händen. Er hat keine andere Wahl, als dem Folge zu leisten, was sie verfügen. Allerdings sagte er auch, dass er mit ihrer Entscheidung einverstanden wäre.«
Bento zögerte. »Ich darf nichts verschweigen.« Er blickte seinem Bruder und seiner Schwester in die Augen und räumte ein: »In Wahrheit sagte er, dass es eine Möglichkeit gäbe. Er sagte, wenn ich alle meine Ansichten zurücknähme, wenn ich öffentlich widerriefe und erklärte, dass ich von nun an die dreizehn Glaubensartikel des Maimonides anerkenne, dann würde er die Parnassim mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ersuchen, den Cherem noch einmal zu überdenken. Tatsächlich – und ich bin nicht sicher, ob er möchte, dass das bekannt wird, weil er es mir nur zugeflüstert hat – bot er mir eine lebenslange Rente aus dem Vermögen der Synagoge an, wenn ich gelobe, mein Leben dem respektvollen und stillen Studium der Thora und des Talmud zu widmen.«
»Und?« Rebecca sah Bento direkt in die Augen.
»Und …«, Bento senkte den Blick, »ich habe abgelehnt. Für mich ist Freiheit mit Geld nicht zu bezahlen.«
»Du Narr! Überleg doch, was du da tust.« Rebeccas Stimme überschlug sich. »Mein Gott, Bruder, was ist nur mit dir los? Hast du den Verstand verloren?« Sie beugte sich vor, als wollte sie aus dem Zimmer stürzen.
»Rebecca …«, Bento zwang sich, seine Stimme ruhig zu halten. »Dies ist das letzte Mal, das allerletzte Mal, dass wir zusammen sind. Der Cherem bedeutet absolutes Exil. Es wird euch verboten sein, jemals wieder mit mir zu sprechen oder euch auf irgendeine Weise wieder mit mir in Verbindung zu setzen. Nie mehr. Denkt daran, wie ihr euch, wie wir drei uns fühlen werden, wenn unser letztes Treffen in Verbitterung und Lieblosigkeit endet.«
Gabriel, den es nicht mehr auf seinem Stuhl hielt, stand auf und lief herum. »Bento, warum sagst du immer wieder ›das letzte Mal‹? Das letzte Mal, dass wir dich sehen, die letzte Bitte, das letzte Treffen? Wie lang wird der Cherem dauern? Wann wird er beendet sein? Ich habe von eintägigen Cherems oder einwöchigen Cherems gehört.«
Bento schluckte und sah seinem Bruder und seiner Schwester in die Augen. »Dies wird eine andere Art von Cherem sein. Ich kenne mich mit Cherems aus, und wenn sie es richtig machen, wird dieser Cherem nie beendet sein. Er wird ein Leben lang gelten, und er wird unumkehrbar sein.«
»Geh noch einmal zum Rabbi«, bat Rebecca. »Nimm sein Angebot an. Bento, bitte. Wir machen alle Fehler, wenn wir jung sind. Komm zu uns zurück. Ehre Gott. Sei der Jude, der du bist. Sei der Sohn deines Vaters. Rabbi Mortera wird dich dein ganzes Leben lang bezahlen. Du kannst lesen, studieren, du kannst alles machen, was du willst, alles denken, was du willst. Du musst es nur für dich behalten. Nimm sein Angebot an, Bento. Verstehst du nicht, dass er dich unserem Vater zuliebe bezahlt, damit du nicht Selbstmord begehst.«
»Bitte«, Gabriel drückte Bentos Hand, »nimm sein Angebot an. Mach einen neuen Anfang.«
»Er würde mich für etwas bezahlen, was ich nicht tun kann. Ich habe die Absicht, nach Wahrheit zu streben und mein Leben dem Wissen um Gott zu widmen, während
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