Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
zu verändern, öffentliche Meinungen zu steuern – alles edle Bestrebungen. Wer wollte das leugnen? Aber die Nachrichten selbst zu machen, genau, die Nachrichten zu machen – darin liegt der wahre Ruhm! Und du wirst mit dabei sein, Alfred. Du wirst schon sehen, du wirst schon sehen. Vertrau mir, ich weiß, was kommt.«
Etwas Schicksalhaftes lag in der Luft. Alfred spürte es deutlich, und weil er zu aufgeregt war, um schlafen zu können, lief er noch eine Stunde lang auf Münchens Straßen herum, nachdem er sich von Eckart getrennt hatte. Der Rat seines Freundes Friedrich Pfister fiel ihm ein: Spannung abbauen! Er atmete tief und schnell durch die Nase ein, hielt die Luft ein paar Sekunden lang an und atmete dann langsam durch den Mund aus. Schon nach ein paar Atemzügen ging es ihm besser, und er war überrascht von der Wirksamkeit eines so einfachen Vorgangs. Es gab keinen Zweifel – Friedrich hatte etwas von einem Zauberer. Die Wendung ihres Gespräches zu einer möglicherweise jüdischen Linie in der Familie seiner Großmutter hatte ihm missfallen, und dennoch verband er positive Gefühle mit Friedrich. Er wollte, dass ihre Wege sich wieder kreuzten. Er würde dafür sorgen.
Als er nach Hause zurückkehrte, fand er einen Zettel auf dem Fußboden, den jemand durch den Briefschlitz seiner Tür gesteckt hatte. Darauf stand: »Die Hofbibliothek von München wird den Theologisch-politischen Traktat von Spinoza eine Woche lang am Ausgabeschalter bereithalten.« Alfred las den Text mehrere Male. Wie seltsam trostreich war dieser kleine, morsche Bibliothekszettel, der seinen Weg durch die unruhigen, gefährlichen Straßen von München in seine winzige Wohnung gefunden hatte.
17
AMSTERDAM, 1656
Bento schlenderte durch die Straßen von Vlooyenburg, dem Stadtteil Amsterdams, in dem die meisten sephardischen Juden lebten, und betrachtete alles mit einem Gefühl von Wehmut. Jedes einzelne Bild ließ er lange auf sich wirken, wie um es mit Beständigkeit zu erfüllen, damit er es später wieder abrufen könnte, auch wenn die Stimme der Vernunft ihm zuflüsterte, dass sich alles irgendwann in Luft auflösen werde und das Leben in der Gegenwart gelebt werden müsse.
Als Bento zum Laden zurückkehrte, ließ Gabriel den Besen fallen und lief ihm mit angstvollen Blicken entgegen. »Bento, wo warst du? Hast du die ganze Zeit mit dem Rabbi gesprochen?«
»Wir hatten ein langes, unfreundliches Gespräch, und danach lief ich noch durch die Stadt und versuchte, mich zu beruhigen. Ich werde dir alles erzählen, was geschehen ist, aber ich möchte es dir und Rebecca gemeinsam erzählen.«
»Sie wird nicht kommen, Bento. Und inzwischen ist nicht nur sie wütend auf dich – nun ist es auch ihr Gatte. Seit Samuel im letzten Jahr sein rabbinisches Studium abgeschlossen hat, ist seine Haltung immer starrer geworden. Und nun verbietet er Rebecca, dich überhaupt zu sehen.«
»Sie wird kommen, wenn du ihr sagst, wie ernst es ist.« Bento packte Gabriel mit beiden Händen an der Schulter und sah ihm in die Augen. »Ich weiß, dass sie kommen wird. Berufe dich auf das Gedenken an unsere selige Familie. Erinnere sie daran, dass wir die Einzigen sind, die noch leben. Sie wird kommen, wenn du ihr sagst, dass dies unser allerletztes Gespräch sein wird.«
Gabriel war sichtlich beunruhigt. »Was ist geschehen? Du machst mir Angst, Bento.«
»Ich bitte dich, Gabriel. Ich kann es nicht zweimal erzählen – das schaffe ich nicht. Bitte bring Rebecca her. Du findest schon einen Weg. Es ist meine letzte Bitte an dich.«
Gabriel riss seine Schürze herunter, warf sie auf den hinteren Tresen und rannte aus dem Laden. Zwanzig Minuten später kam er mit einer mürrischen Rebecca im Schlepptau zurück. Sie hatte sich Gabriels flehentlicher Bitte nicht verweigern können – schließlich hatte sie Bento nach dem Tod ihrer Mutter Hanna bis zur Wiederverheiratung ihres Vaters mit Ester drei Jahre lang aufgezogen –, aber sie bebte vor Wut, als sie den Laden betrat. Sie begrüßte Bento mit einem frostigem Nicken und ausgestreckten Handflächen. »Nun?«
Bento, der inzwischen eine Nachricht auf Portugiesisch und Holländisch an die Tür geheftet hatte, dass das Geschäft vorübergehend geschlossen sei, antwortete: »Gehen wir nach Hause. Dort können wir ungestört sprechen.«
Kaum hatten sie das Haus betreten, schloss Bento die Haustür ab und bedeutete Gabriel und Rebecca, Platz zu nehmen. Er selbst blieb stehen und lief nervös auf und ab.
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