Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
man vorbeigehen kann mit verbundenen Augen, das nur gelöst wird durch kleine Zugeständnisse, für uns ist das ein Problem, das darüber entscheidet, ob unser Volk vor allem wieder innerlich gesundet, ob der jüdische Geist auch wirklich verschwindet. Denn denken Sie nicht, dass Sie eine Krankheit bekämpfen können, ohne nicht den Erreger zu töten, ohne den Bazillus zu vernichten, und denken Sie nicht, dass Sie die Rassentuberkulose bekämpfen können, ohne zu sorgen, daß das Volk frei wird von dem Erreger der Rassentuberkulose.«
Bei jedem Argument wurde Hitlers Stimme schriller, bei jedem Satz seine Tonlage höher, bis es sicher schien, dass sich seine Stimme irgendwann überschlagen würde – aber das trat nicht ein. Als er seinen letzten Satz ins Auditorium kreischte: »Das Wirken des Judentums wird niemals vergehen, und die Vergiftung des Volkes nicht enden, solange nicht der Erreger, der Jude, aus unserer Mitte entfernt ist«, sprangen die Zuhörer von ihren Sitzen und applaudierten frenetisch.
Das Abendessen fand an diesem Abend in Eckarts Haus in vertrautem Kreis mit nur vier Personen statt: Alfred, Drexler, Eckart und Hitler. Aber nun war es ein anderer Hitler – nicht der Hitler, der sich ständig auf die Brust trommelte, sondern ein höflicher, liebenswürdiger Hitler.
Eckarts Frau Rosa, eine kultivierte Dame, führte sie in den Salon, zog sich aber schon nach wenigen Minuten diskret zurück und überließ die vier Männer ihren vertraulichen Gesprächen. Mit großer Geste holte Eckart einen von seinen besten Weinen aus dem Keller, doch seine Überschwänglichkeit war bald gedämpft, als er feststellte, dass Hitler Abstinenzler war und Alfred niemals mehr als ein Glas trank. Noch ernüchterter war er, als er erfuhr, dass Hitler Vegetarier war und die dampfende, gebratene Gans, welche die Hausfrau stolz in das Esszimmer trug, unberührt ließ. Nachdem die Hausfrau schnell ein paar Rühreier und Kartoffeln für Hitler zubereitet hatte, speisten und plauderten die vier länger als drei Stunden.
»Nun, Herr Hitler, erzählen Sie uns doch von Ihrer momentanen Aufgabe und von Ihrer Zukunft bei der Reichswehr«, bat Eckart.
»Die Reichswehr hat keine große Zukunft, nachdem der Versailler Vertrag – den ich von ganzem Herzen verfluche – eine Höchstgrenze von hunderttausend Soldaten festgelegt hat, für unsere Feinde dagegen überhaupt keine Höchstgrenze. Diese Schrumpfung bedeutet, dass ich in etwa einem halben Jahr ausgemustert werde. Abgesehen von der Aufgabe, Versammlungen der gefährlichsten unserer fünfzig politischen Parteien zu beobachten, die es derzeit in München gibt, habe ich nur wenige Pflichten.«
»Und warum wird die Deutsche Arbeiterpartei als gefährlich eingestuft?«, wollte Eckart wissen.
»Wegen des Wortes ›Arbeiter‹. Das erregt den Verdacht eines kommunistischen Einflusses. Aber Herr Eckart, ich kann Ihnen versichern, dass die Reichswehr Ihnen nach meinem Bericht jede nur mögliche Unterstützung anbieten wird. Es ist für uns alle eine gefährliche Situation. Die Bolschewiken waren für die russische Kapitulation im Krieg verantwortlich, und jetzt sind sie entschlossen, Deutschland zu infiltrieren und uns zu einem bolschewistischen Staat zu machen.«
»Sie und ich haben uns gestern über die gegenwärtige Welle von Mordanschlägen gegen Führer der Linken unterhalten«, sagte Drexler. »Wären Sie eventuell bereit, Herrn Eckart und Herrn Rosenberg gegenüber zu wiederholen, wie die Reichswehr und die Polizei Ihrer Meinung nach darauf reagieren sollten?«
»Ich glaube, dass es viel zu wenige Mordanschläge gibt, und wenn ich das Sagen hätte, würde ich den Attentätern noch mehr Patronen geben.«
Diese Antwort quittierten Eckart und Drexler mit einem breiten Grinsen, und Eckart fragte: »Und was halten Sie bis jetzt von unserer Partei?«
»Mir gefällt, was ich sehe. Ich stimme dem Parteiprogramm voll und ganz zu, und nachdem ich gründlich darüber nachgedacht habe, bestehen meinerseits überhaupt keine Bedenken, mich auf die Seite Ihrer Partei zu schlagen.«
»Und unsere geringe Mitgliederzahl?«, fragte Drexler. »Alfred, unser Journalist, war ein wenig erschrocken, als er erfuhr, dass unsere ersten fünfhundert Soldaten eher aus dem Reich der Fabel stammen.«
»Nun, als Journalist«, damit wandte Hitler sich an Alfred, »hoffe ich doch, dass Sie mir eines Tages zustimmen werden, dass die Wahrheit das ist, was die Öffentlichkeit glaubt. Offen gestanden, Herr
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