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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Redakteur zu werden. Bald wurde ihm die Verantwortung übertragen, die meisten Arbeiten zu redigieren, die bei der Zeitung eingereicht wurden. Innerhalb weniger Wochen flitzte Alfreds Rotstift blitzschnell über die Seiten, während er mit sicherer Hand Stil und Aussagekraft der Arbeiten anderer verbesserte. Alfred betrachtete sich als Glückspilz: Er hatte nicht nur einen hervorragenden Lehrer, er war auch Dietrichs einziges »Kind«. Doch das sollte sich bald ändern. Ein anderer aus demselben Stall wie Alfred war im Anmarsch, ein Gesinnungsgenosse, der den ganzen Raum für sich in Anspruch nehmen sollte.
    Der Wechsel wurde mehrere Wochen später, im September 1919, eingeleitet, als Anton Drexler, derjenige, der Alfred in der Thule-Gesellschaft willkommen geheißen hatte, in heller Aufregung im Büro erschien. Dietrich wollte gerade die Tür zu einem Gespräch unter vier Augen schließen, winkte dann aber mit Drexlers Einverständnis auch Alfred herein.
    »Ich möchte dich auf den neuesten Stand bringen, Alfred«, sagte Drexler. »Du weißt bestimmt, dass kurz nach deiner ersten Versammlung bei der Thule-Gesellschaft einige von uns eine neue politische Partei, die Deutsche Arbeiterpartei, gegründet haben . Ich erinnere mich, dass du bei einem der ersten Treffen dabei warst, das allerdings nicht besonders gut besucht war. Aber nun sind wir bereit zu expandieren. Dietrich und ich wollen dich einladen, zu unserem nächsten Treffen zu kommen und einen Leitartikel darüber zu schreiben. Wir sind nur eine Partei in einer ganzen Legion von Parteien und müssen bekannter werden.«
    Alfred warf Eckart einen Blick zu, dessen energisches Nicken andeutete, dass die Einladung mehr als eine Einladung war, und antwortete: »Ich werde selbstverständlich zum nächsten Treffen kommen.«
    Damit war Drexler anscheinend zufrieden, und er bedeutete Alfred, die Tür des Büros zu schließen und Platz zu nehmen. »Nun, Dietrich, ich denke, wir haben den gefunden, auf den du gewartet hast. Ich will dir erzählen, was passiert ist: Du erinnerst dich natürlich daran, dass wir damals die Armee um Erlaubnis fragen mussten, als wir beschlossen, die Partei von einem Debattierclub von Thule-Mitgliedern zu einer aktiven Partei mit öffentlichen Versammlungen umzuwandeln? Und dass man uns darauf vorbereitet hat, bei unseren Versammlungen regelmäßig Besuch von Militärbeobachtern zu bekommen?«
    »Ich erinnere mich daran und bin mit dieser Regelung vollkommen einverstanden. Es ist wichtig, dass die Kommunisten nicht ausscheren.«
    »Nun«, fuhr Drexler fort, »letzte Woche hatten wir eine Versammlung mit fünfundzwanzig oder dreißig Leuten. Es war schon ziemlich spät, als ein ziemlich gewöhnlich aussehender, ärmlich gekleideter Mann auftauchte und sich in die letzte Reihe setzte. Carl, unser Leibwächter und Rausschmeißer, flüsterte mir zu, dass der Mann ein Beobachter der Reichswehr in Zivil sei, der schon auf anderen politischen Versammlungen, in Theatern und Clubs gesehen wurde, wo er nach gefährlichen Agitatoren Ausschau gehalten hat.
    Nun, dieser Beobachter – er heißt Hitler und ist Gefreiter bei der Reichswehr, soll aber in ein paar Monaten ausgemustert werden – hat dem Hauptredner, der einen langweiligen Vortrag über die Beseitigung des Kapitalismus hielt, vollkommen regungslos zugehört. Bei der darauffolgenden Diskussionsrunde ging dann allerdings die Post ab. Einer im Publikum erklärte in epischer Breite, warum er diesen dummen Plan gutheißt, der im Augenblick in Bayern kursiert, dass Bayern sich vom Deutschen Reich abspalten und mit Österreich zu einem süddeutschen Staat verbinden soll. Was soll ich sagen: Dieser Hitler wurde fuchsteufelswild, sprang auf, marschierte zum Podium und lieferte eine beißende Attacke gegen diese Idee oder irgendeinen anderen Plan, der Deutschland bewusst schwächen würde. Mehrere Minuten lang zog er vernichtend über die Feinde Deutschlands her – sie würden sich mit den Versailler Kriminellen verbrüdern, die unser Land vernichten, uns aufsplittern und unserer ruhmreichen Zukunft berauben wollen – und so weiter.
    Es war ein ausgewachsener Tobsuchtsanfall; er hat sich wie ein Verrückter gebärdet, als wollte er jeden Moment vollends ausrasten. Im Zuschauerraum rumorte es, und ich wollte Carl schon losschicken, um ihn an die Luft zu setzen – ich zögerte nur noch, weil, na ja, immerhin ist er bei der Reichswehr. Aber als hätte er meine Gedanken gelesen, riss er sich genau in

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