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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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sich an die Vorstellung in einem serbischen Landzirkus, den er vergangenes Jahr besucht hatte. Dort war ihm ein Jongleur aufgefallen, der mit nacktem Oberkörper brennende Fackeln über seinem Kopf hin und her geworfen hatte. Der Mann war ausgezehrt und gleichzeitig sehnig gewesen, und in seinem Gesicht hatte der angestrengte, verbissene Ausdruck eines Menschen gelegen, der eher im Überleben ein Künstler war als im Jonglieren. Julius Pawalet erinnerte ihn an diesen Artisten.
    „Inspektor Lischka beschäftigt sich mit den Umständen des Todes Ihres Vaters“, sagte Kinsky und bot Julius einen Sessel an.
    Lischka bemerkte, dass der junge Mann irritiert die Garderobe des Museumsdirektors musterte, und er musste schmunzeln.
    Kinsky erinnerte ihn an einen Ansager im Kabarett. Er trug eine rosa Seidenkrawatte, die er bauschig in eine gelbe Samtweste gestopft hatte, dazu einen hellbraunen Anzug mit goldenen Knöpfen. Er schien in seinem Museum so fehl am Platze wie eine Nonne auf dem Riesenrad des Praters.
    „Also“, sagte der Museumsdirektor schließlich mit fröhlicher Stimme und schenkte ein drittes Glas Cognac ein, bevor er sich selbst ein weiteres genehmigte. „Sie kommen genau richtig, Pawalet. Wir haben gerade über die seltsamen Todesumstände Ihres Herrn Vaters gesprochen.“
    „Deswegen bin ich eigentlich nicht gekommen“, sagte Julius. Lischka fand, dass dessen leise Stimme irgendwie zu rauh klang für sein junges Alter. So, als benutzte er sie nicht sehr oft.
    „Ja, ja, ich weiß“, winkte Kinsky ab. „Sie kommen wegen der Anstellung. Warum waren Sie denn so abweisend auf dem Friedhof?“
    Der junge Mann runzelte die Stirn. „Vielleicht kannten Sie nur das sonntägliche Benehmen meines Vaters.“
    „Ich weiß, dass Sie ein sehr schwieriges Verhältnis zum Joseph hatten“, beschwichtigte Kinsky ihn, „aber versuchen Sie doch, das einmal zu vergessen, und sehen Sie, was er Ihnen jetzt ermöglicht.“ Er breitete die Arme aus. „Eine Anstellung als Saaldiener, sozusagen als sein Nachfolger.“
    Pawalet presste die Lippen aufeinander. Er schien von diesen Aussichten nicht sonderlich begeistert zu sein. Lischka nahm nun doch einen kleinen Schluck von seinem Cognac und sagte: „Sie wissen, wie Ihr Vater gestorben ist?“
    Der junge Mann stieß ein tonloses Lachen aus. „Es muss wohl so eine neuartige Todesart zwischen Mord und Suizid sein, oder?“
    Lischka wusste nicht, ob er belustigt sein sollte oder alarmiert. „Das ist wahr. Tatsächlich können wir nicht sagen, ob Ihr Vater wirklich Selbstmord begangen hat.“
    „Und was sagt Ihnen das?“, fragte Julius.
    Inspektor Lischka bemerkte verwundert den großen Ernst, der von dem jungen Mann ausging. Er schien scharfsinniger zu sein, als sein Äußeres vermuten ließ.
    „Nun, als wir ihn fanden, war er bereits seit drei Tagen tot. Zuerst nahmen alle an, dass es Selbstmord war. Dr. Kinsky hat uns verraten, dass Ihr Vater unheilbar an Magenkrebs erkrankt war. Wir haben vermutet, dass er einfach diese Leidenszeit nicht durchmachen wollte …“
    „Ja, schlimm ist das –“, schaltete sich Kinsky ein, „meine arme Mama hatte auch Krebs im Magen, und sie hat gelitten, als wäre sie schon zu Lebzeiten in der Hölle.“ Er schenkte sich noch einmal großzügig aus der Cognacflasche nach.
    „Und wieso kamen Ihnen Zweifel?“, wollte Julius von Lischka wissen.
    Dieser stellte sein Glas weg und faltete die Hände. „Haben Sie schon einmal einen Menschen gesehen, der durch Erhängen starb, Herr Pawalet?“, fragte er.
    Julius schüttelte den Kopf.
    „Sehen Sie, wenn ein Mensch aufgehängt wird oder sich erhängt, dann entsteht durch die Schlinge eine Ligatur – eine Art strangförmiger Bluterguss – am Hals des Toten. Dieser verläuft bei einem Erhängten in jedem Fall senkrecht bis hinter die Ohren, je nachdem, wo der Knoten sitzt und wie der Hals beschaffen ist. Bei einem Menschen, der erdrosselt wurde, sagen wir, mit einer Schnur, verläuft dieser Bluterguss waagrecht. Bei Ihrem Vater wurde beides festgestellt. Eine waagrechte Ligatur über dem Kehlkopf und eine senkrechte über den seitlichen Halssträngen. Was sagen Sie dazu?“
    „Das klingt nach einem …“
    „… vorgetäuschten Selbstmord, um einen Mord zu vertuschen?“, kam Lischka ihm zuvor.
    „Ihr Vater hätte niemals Selbstmord begangen“, sagte Kinsky und unterstrich seine Überzeugung durch einen tiefen Schluck aus seinem Glas.
    „Man weiß nie, was einem Mann einfällt, der so

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