Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
an sich leidet“, warf Lischka ein.
„Aber ich kannte Pawalet!“, rief Kinsky. „Er hat mir geschworen, dass er sich nicht umbringt, sondern dass er wartet, bis der Herr ihn selbst zu sich holt. Er hatte große Angst vor der Verdammnis.“
„Dann ist er auf seine alten Tage auch noch gläubig geworden?“, fragte Pawalet. Seine erstaunten Augen passten nicht so recht zu den spöttisch gekräuselten Mundwinkeln.
„Das sind alles nur Vermutungen“, sagte Lischka rasch. „Die beiden unterschiedlichen Verläufe der Blutergüsse sind für uns Grund genug, zu vermuten, dass er tatsächlich ermordet wurde. Und ich habe mich gerade mit Herrn Dr. Kinsky unterhalten, um herauszufinden, ob Pawalet irgendwelche Feinde hatte.“
Kinsky schüttelte entschieden den Kopf. Julius blieb stumm.
„Ist es richtig, dass Sie nichts über Ihren Vater wissen und wussten?“, wandte Lischka sich wieder an ihn.
Julius Pawalet hob in scheinbarer Gleichgültigkeit die knochigen Schultern. „Er war ein Säufer, als ich von ihm wegging. Und als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe, lag er in einem Sarg.“
Lischka nickte bedächtig, doch Kinsky fuhr aus seinem Sessel hoch und rief: „Das ist nicht wahr, Pawalet! Sie verschweigen dem Inspektor, dass Ihr Vater in all den Jahren immer wieder versucht hat, mit Ihnen zu sprechen. Aber Sie haben ihn zum Teufel geschickt!“
Lischka beschwichtigte: „Dr. Kinsky, ich denke nicht, dass die Ablehnung eines Sohnes den Vater in den Selbstmord treibt.“ Er griff ein zweites Mal nach seinem Glas und trank einen großen Schluck, stellte es aber rasch wieder ab, als er sah, dass Julius seines noch nicht angerührt hatte.
„Wissen Sie, es wäre nicht das erste Mal, dass jemand einen Mord als Suizid darstellt. Erst heute Morgen haben wir eine Frauenleiche gefunden, die aussah, als hätte sie sich mit einer Giftspritze umgebracht. Sie saß in einem Sessel, halb nackt, schön hindrapiert. Der Leichenbeschauer fand heraus, dass sie von einer Giftschlange gebissen worden war, die ein paar Tage zuvor aus der Menagerie in Schönbrunn gestohlen wurde. Es wird heute in allen Abendzeitungen zu lesen sein.“
Kinsky sagte: „In unserer schönen Monarchie sind widerliche Subjekte unterwegs, wahrlich …“
Lischka erhob sich. „Aber Herr Pawalet, Sie sind ja wegen etwas ganz anderem hier, nicht wahr? Ich will Ihre Zusammenkunft nicht weiter belasten. Ich muss ohnehin weiter.“ Er gab Julius wieder die Hand und sagte: „Ich kann Ihnen allerdings nicht versprechen, dass Sie mich für immer los sind. Falls es neue Erkenntnisse wegen Ihres Vaters gibt, muss ich wieder auf Sie zukommen.“
Er setzte seinen Hut auf und wandte sich zum Gehen. Doch in der Mitte des Raumes blieb er stehen, als wäre er gegen ein unsichtbares Hindernis gelaufen. Er drehte sich noch einmal um und fragte: „Ach, was war das für ein Brief, den Sie vorhin erwähnt haben?“
Kinsky atmete nervös ein und machte Anstalten, etwas zu sagen. Doch Pawalet kam ihm zuvor: „Ein Abschiedsbrief an mich, in dem mein Vater mir mitteilt, dass ich seine Stelle hier im Museum übernehmen könnte. Ich wusste gar nicht, dass er so großzügig ist.“
Lischka runzelte die Brauen, und Kinsky fragte: „Was ist daran so ungewöhnlich, Herr Inspektor?“
„Nun, als ich mit meinen Männern in der Wohnung des Toten ankam, lag da gar kein Brief. Und das wundert mich schon, denn das Erste, wonach man sucht bei so einem Fall, ist doch ein Abschiedsbrief.“
Kinsky stellte geräuschvoll sein Glas ab und sprang auf. „Nein, nein, Herr Inspektor, dieser Brief lag nicht offen herum. Er lag zwischen den Seiten eines Buches. Nur ich wusste davon und habe dafür gesorgt, dass ausschließlich Julius diesen Brief zu sehen bekommt.“
„Aber warum das alles?“, hakte Lischka nach und kam wieder ein paar Schritte zurück. Kinsky griff nach seinem Glas.
„Warum hat er den Brief in einem Buch versteckt? Wenn er davon ausgegangen ist, dass er eines normalen Todes sterben würde, also an seiner Krankheit, dann wäre das doch gar nicht nötig gewesen.“
„Nun …“, begann Kinsky, „er wollte eben, dass niemand diesen Brief liest, in dem ja lauter liebevolle Worte, Entschuldigungen und allerlei Sentimentalitäten an seinen Sohn standen. Er bat mich, dafür zu sorgen, dass nur Julius diese Zeilen zu Gesicht bekommt. Vielleicht … hat er sich geschämt.“
Lischka warf Julius Pawalet einen raschen Blick zu. Er schien mit dieser Aussage nicht
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