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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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Vater ein seriöser Museumswächter gewesen sein sollte.
    Kinsky setzte eine strenge Miene auf. „Pawalet, es ist mir egal, wie böse Sie über Ihren Vater denken. Er war ein ehrenwerter Mensch, und er wird sehr vermisst. Ich habe ihm das Leben gerettet und habe es keinen Tag bereut.“
    „Schon gut“, winkte Julius ab. Er hatte keine Lust, Kinskys ausschweifenden Worten noch länger zuzuhören. Irgendetwas sagte ihm, dass der Mann vielleicht etwas gutzumachen hatte. Nun, ihm sollte es recht sein. „Aber ich bin für diese Stelle gar nicht geeignet. Wissen Sie, wie lange ich in der Schule war? Jeder Kanarienvogel ist gebildeter als ich.“
    Kinsky brach in schallendes Gelächter aus. „Ja, was denken Sie sich denn, Pawalet? Was ist schon Kompliziertes an diesem Beruf? Es ist nichts anderes als die Arbeit eines Friedhofswärters. Sie passen auf, dass sich ein paar alte Mütterchen nicht verirren. Sie müssen nichts über Kunst wissen, außer dass man ein Ölgemälde von Tizian eben nicht anfassen darf. Das ist alles.“
    „Sie meinen das wirklich ernst?“, fragte Julius immer noch ungläubig. Irgendetwas störte ihn. „Warum halten Sie sich an den Wunsch meines Vaters?“, fragte er. „Er würde es nicht mehr erfahren, wenn Sie ihn nicht erfüllen.“
    Kinsky fuhr sich nachdenklich durch den Backenbart.
    „Weil ich es Ihrem Vater eben versprochen habe“, antwortete er ungeduldig. „Er hat mir dieses Versprechen unter Tränen abgenommen. Und ich bin abergläubisch. Sehr sogar. Wenn ich Sie nicht anstelle, kommt sein Geist und straft mich.“ Er kicherte in sein fast leeres Glas. „Aber abgesehen davon – er war nun mal mein Freund und hat mir von Ihrer unglücklichen Verbindung erzählt.“
    „Hat mein Vater Ihnen erzählt, dass er mit mir bei der Eröffnung des Museums war?“, fragte Julius.
    „Ja, und auch von diesen billigen Kunstdrucken, die Sie sich als Kind so gern angeschaut haben. Herrgott, er ist geradezu sentimental geworden, wenn er davon erzählt hat. Aber hören Sie, Pawalet: Es ist mir wurscht, ob Sie Kunst mögen oder nicht. Oder ob Sie etwas darüber wissen. Sie müssen, wie gesagt, nur aufpassen, dass alles seinen Gang geht. Niemand wird Sie an Ihrem Vater messen.“
    „Messen?“
    „Na, Sie haben’s doch bei der Grabrede gehört. Joseph war ein Kenner. Er war sozusagen Kunsthistoriker. Er hat diese Bilder studiert und alles darüber gelesen, was er in die Finger bekommen konnte. Das hier –“, er machte eine weit ausholende Geste zu den deckenhohen Bücherregalen ringsum. „Das hier war seine Bibliothek. Er hat viele dieser Bücher gelesen. Ach, was sag ich! Gefressen hat er sie. So wissbegierig war Ihr Herr Vater, wie es sonst nicht mal meine Kuratoren sind. Und trotzdem ist er immer ein ganz bescheidener kleiner Saaldiener geblieben. Aber die Besucher haben ihn geliebt. Weil er ihnen alles erklären konnte und weil seine Begeisterung ansteckend war. Manchmal hab ich ihn Museumsführungen übernehmen lassen, wenn einer vom Personal krank war. Und das hat er immer sehr, sehr kompetent gemacht. Manche Besucher sind nur wegen ihm gekommen. Er war … etwas ganz Besonderes.“
    „Ich hab schon verstanden. Er war ein ganz wunderbarer, reizender, herzlicher Mann, nicht wahr?“, fauchte Julius jetzt, der die Beweihräucherung seines Vater nicht länger ertragen konnte. Doch sofort bereute er seine Gereiztheit. Er wollte diese Arbeit. Unbedingt. Insgeheim empfand er eine widerwillige Dankbarkeit. Er griff jetzt zum ersten Mal nach dem Glas mit Cognac und nahm einen großen Schluck. Wie brennende Lakritze legte sich die Flüssigkeit innen über die Kehle und die Magenwände. Und in diesem Moment konnte er die verfluchte Sauferei so vieler Männer plötzlich verstehen. Manchmal stand man vor einer Antwort, die man nicht geben wollte, vor einer Frage, die man nicht stellen konnte, oder vor Gedanken, denen man keine Taten folgen lassen wollte. Dieser scharfe Sud war es, der zwischen all diesen unvollständig verbundenen Teilen der menschlichen Seele eine Brücke schlagen konnte, wenn auch nur eine trügerische. Er stellte das Glas weg und sagte so ruhig, wie es ihm möglich war: „Kinsky, ich würde sehr gern in diesem Museum arbeiten. Aber eins will ich nicht.“
    Kinsky reckte herausfordernd das Kinn vor.
    „Ich will, dass Sie aufhören, in mir den Sohn von Joseph Pawalet zu sehen. Ich habe nichts gemein mit ihm. Glauben Sie nicht, dass Sie mich retten.“ Er versuchte, sanft und

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