Das Sterben in Wychwood
als beugten ihn die Sorgen nieder.
Luke blieb stehen und schaute ihr nach. Eine plötzliche Besorgtheit überkam ihn; er hatte das Bedürfnis, dieses Mädchen zu beschützen.
Wovor? Als er sich diese Frage stellte, schüttelte er den Kopf in momentaner Ungeduld mit sich selbst. Es war wahr, dass Rose Humbleby kürzlich ihren Vater verloren hatte, aber sie hatte eine Mutter und war verlobt mit einem entschieden anziehenden jungen Mann, der der Beschützerrolle vollkommen gewachsen war. Also warum überkam ihn, Luke Fitzwilliam, dieser Beschützerkomplex?
«Immer dasselbe», sagte er zu sich selbst, während er in Richtung Ashe Ridge spazierte, «das Mädel ist mir eben sympathisch. Sie ist viel zu gut für Thomas – kalter Geselle, der er ist!»
Das Lächeln des Arztes auf der Türschwelle kam ihm in Erinnerung; entschieden selbstgefällig war es gewesen! So zufrieden!
Das Geräusch von Schritten ein wenig vor ihm weckte Luke aus seinen leicht gereizten Grübeleien. Er blickte auf und sah den jungen Ellsworthy den Pfad vom Berg herunterkommen, die Augen zu Boden gesenkt und vor sich hinlächelnd. Sein Ausdruck missfiel Luke. Ellsworthy ging weniger, als dass er förmlich einherstolzierte – wie ein Mann, der dem Rhythmus einer teuflischen kleinen Melodie in seinem Hirn folgt. Sein Lächeln war eine seltsame Verzerrung der Lippen – es hatte eine heitere Verschlagenheit, die ausgesprochen unangenehm war.
Luke war stehengeblieben, und Ellsworthy hatte ihn schon beinahe erreicht, als er endlich aufsah. Seine Augen, boshaft und fröhlich, trafen die des anderen ein paar Sekunden lang, ehe sie ihn erkannten. Dann ging – oder erschien es Luke nur so – eine vollkommene Veränderung mit dem Mann vor sich. Hatte er vor einer Minute noch an einen tanzenden Satyr erinnert, zeigte sich jetzt nur ein etwas eingebildeter junger Mann.
«Oh, Mr Fitzwilliam, guten Morgen!»
«Guten Morgen», erwiderte Luke. «Haben Sie die Schönheiten der Natur bewundert?»
Mr Ellsworthys lange, blasse Hände hoben sich in einer ablehnenden Gebärde.
«O nein, nein – o Gott, nein! Ich verabscheue die Natur. So eine rohe, phantasielose Sache! Aber ich genieße das Leben, Mr Fitzwilliam.»
«Ich auch», sagte Luke.
« Mens sana in corpore sano » , zitierte Mr Ellsworthy ironisch. «Ich bin überzeugt, dass das genau auf Sie zutrifft.»
«Es gibt Schlimmeres», sagte Luke.
«Mein Gott! Gesundheit und Normalität sind so unglaublich langweilig! Man muss verrückt sein – köstlich verrückt – verkehrt – leicht verdreht – dann sieht man das Leben aus einem neuen, ungeahnten Blickwinkel.»
«Das Schielen des Aussätzigen», meinte Luke.
«Ah, sehr gut – sehr gut – ganz witzig! Aber es ist etwas daran, wissen Sie. Ein interessanter Standpunkt. Doch ich darf Sie nicht aufhalten; Sie machen sich Bewegung – man muss sich Bewegung machen – das ist der Geist der Schulen Englands!»
«Ganz richtig», bestätigte Luke und ging mit einem kurzen Nicken weiter.
Meine Einbildungskraft arbeitet zu stark; der Kerl ist einfach ein Esel, das ist alles, dachte Luke.
Aber eine undefinierbare Unruhe trieb seine Füße rascher voran. Jenes seltsame, schlaue, triumphierende Lächeln, das auf dem Gesicht des anderen gelegen hatte – war das nur Einbildung gewesen? Und der darauffolgende Eindruck, dass es in dem Augenblick wie weggewischt war, als er Luke auf sich zukommen sah – was war daran?
Mit steigender Unruhe dachte er:
Bridget! Ist ihr auch nichts geschehen? Sie sind zusammen hinaufgegangen, und er kam allein zurück.
Er hastete weiter. Der Himmel sah dunkel und drohend aus, und der Wind kam in jähen kleinen Stößen. Es war, als sei er aus dem normalen Alltagsleben in jenes seltsame schwebende Reich der Verzauberung geraten, das er um sich gespürt hatte, seit er in Wychwood angekommen war.
Um die Ecke biegend, kam er zu einem grünen Rasenplatz, der ihm von unten gezeigt und als Hexenwiese bezeichnet worden war. Hier hatten, erzählte man sich, die Hexen in der Walpurgisnacht und zu Allerseelen ihre wüsten Feste gefeiert.
Und nun überwältigte ihn plötzlich ein starkes Gefühl der Erleichterung – Bridget war da. Sie saß am Bergabhang, mit dem Rücken gegen einen Felsen, vornübergeneigt, den Kopf in den Händen.
Er trat rasch auf sie zu.
«Bridget?»
Langsam hob sie das Gesicht von den Händen. Ihr Ausdruck verwirrte ihn. Sie sah aus, als käme sie aus einer weit entfernten Welt, als falle es ihr schwer, in
Weitere Kostenlose Bücher