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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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verhalten gewesen und hatte jedes meiner Worte mitgeschrieben, ganz gleich, wie unbedeutend es war. Jedesmal, wenn sie mein Büro betrat oder es verließ, trug sie das maßgeschneiderte Jackett über der Bluse. Als sie mich das erstemal aufsuchte und wir nebeneinander an meinem Schreibtisch saßen, die Tür zum Korridor, der Anweisung entsprechend, weit offen, so daß alle acht Gliedmaßen und unsere so unterschiedlichen Rümpfe für jeden vorbeigehenden Big Brother deutlich zu sehen waren (auch das Fenster war weit offen - ich hatte es aufgerissen, denn ich fürchtete ihr Parfüm), bei diesem ersten Mal also trug sie eine elegante graue Flanellhose mit Aufschlägen und beim zweitenmal einen schwarzen Jerseyrock und eine schwarze Strumpfhose, doch zu unseren Seminarsitzungen erschien sie immer in einer Bluse: über der schneeweißen Haut diese Seidenblusen in irgendeinem Cremeton, die obersten zwei Knöpfe geöffnet. Auf der Party jedoch zog sie das Jackett bereits nach dem ersten Glas Wein aus und strahlte mich kühn und jackettlos an, mit einem offenen, verführerischen Lächeln. Wir standen dicht nebeneinander in meinem Arbeitszimmer, wo ich ihr ein KafkaManuskript gezeigt hatte, drei handschriftliche Seiten, eine Rede, die er als Versicherungsangestellter anläßlich der Feier zur Pensionierung des Direktors gehalten hatte; dieses Manuskript aus dem Jahr 1910 war ein Geschenk einer dreißigjährigen, reichen, verheirateten Frau, die einige Jahre zuvor meine Studentin und Geliebte gewesen war.
    Consuela sprach aufgeregt über alles mögliche. Es hatte sie fasziniert, das Kafka-Manuskript in Händen zu halten, und nun sprudelten all die Fragen hervor, die sie ein ganzes Semester lang bewegt hatten - während mich mein Begehren bewegt hatte. »Welche Musik hören Sie am liebsten? Können Sie wirklich Klavier spielen? Lesen Sie den ganzen Tag? Kennen Sie alle Gedichte in diesen Büchern da auswendig?« Aus jeder dieser Fragen ging hervor, wie sehr sie mein Leben, mein in sich geschlossenes, gesetztes kulturelles Leben bewunderte - das war das Wort, das sie benutzte. Ich fragte sie, was sie so tue, wie ihr Leben aussehe, und sie sagte, sie sei nach der Highschool nicht gleich aufs College gegangen, sondern habe beschlossen, als Privatsekretärin zu arbeiten. Und das war es ja auch gewesen, was ich von Anfang an in ihr gesehen hatte: die züchtige, loyale Privatsekretärin, das Kleinod im Vorzimmer eines mächtigen Mannes, des Vorstandsvorsitzenden einer Bank, des Chefs einer Anwaltskanzlei. Sie gehörte wirklich zu einer vergangenen Epoche, sie war eine Erinnerung an eine gesittetere Zeit, und ich nahm an, ihre Selbsteinschätzung hatte ebenso wie ihre Haltung viel damit zu tun, daß sie die Tochter wohlhabender kubanischer Emigranten war, reicher Menschen, die vor der Revolution geflohen waren.
    Sie sagte: »Ich war nicht gern Sekretärin. Ich hab's ein paar Jahre lang versucht, aber es ist ein langweiliges Leben, und meine Eltern haben immer von mir erwartet, daß ich aufs College gehe. Also habe ich schließlich beschlossen zu studieren. Wahrscheinlich wollte ich bloß rebellieren, aber das war kindisch, und so hab ich mich also hier eingeschrieben. Ich bewundere Kunst.« Wieder das Wort »bewundern« - sie gebrauchte es freimütig und aufrichtig. »Welche Kunstform gefällt Ihnen am besten?« fragte ich sie. »Das Theater. Alle Arten von Theater. Ich gehe in die Oper. Mein Vater liebt Opern, und wir gehen gemeinsam in die Met. Puccini ist sein Lieblingskomponist. Ich gehe immer sehr gern mit ihm in die Oper.« »Sie lieben Ihre Eltern.« »Ja, sehr«, sagte sie. »Erzählen Sie mir von ihnen.« »Sie sind Kubaner. Sehr stolz. Und sie sind hier sehr erfolgreich gewesen. Die Kubaner, die nach der Revolution hierhergekommen sind, hatten ein bestimmtes Weltbild, das es ihnen ermöglicht hat, extrem erfolgreich zu sein. Diese ersten Emigranten, zu denen auch meine Familie gehört hat, haben hart gearbeitet und getan, was nötig war, und sie waren so erfolgreich, daß, wie mein Großvater uns erzählt hat, einige von ihnen, die bei ihrer Ankunft eine staatliche Unterstützung erhalten hatten, weil sie nichts mehr besaßen... tja, von einigen bekam die Regierung nach ein paar Jahren Schecks. Mein Großvater sagt, die wußten gar nicht, was sie damit machen sollten. Das erste Mal in der Geschichte, daß jemand Geld an das amerikanische Finanzministerium zurückgezahlt hat.« »Sie heben auch Ihren Großvater. Was für ein

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