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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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verbirgt, ist das, was einen dorthin gebracht hat: die pure Lust. Die Schleier verhüllen den blinden Trieb. Man redet und hat - wie sie - das irrige Gefühl, man wüßte, womit man es zu tun hat. Aber es ist nicht so, als würde man sich mit einem Anwalt beraten oder mit einem Arzt sprechen, als würde irgend etwas, was da gesagt wird, am weiteren Verlauf etwas ändern. Man weiß, daß man es will, und man weiß, daß man es tun wird, und es gibt nichts, was einen aufhalten könnte. Es wird nichts gesagt werden, das irgend etwas ändern könnte.
    Der große biologische Witz ist, daß man miteinander intim ist, bevor man irgend etwas über den anderen weiß. In dem Augenblick, in dem es beginnt, begreift man alles. Zu Beginn wird man von der Oberfläche des anderen angezogen, aber man begreift intuitiv auch die ganze Tiefe. Und die Anziehung muß nicht gleich sein: Die Frau fühlt sich von der einen Sache angezogen, man selbst aber von etwas ganz anderem. Es geht um Oberfläche, es geht um Neugier, aber dann - bum! - kommt die Tiefe. Es ist schön, daß sie kubanischer Herkunft ist, es ist schön, daß ihre Großmutter dies und ihr Großvater jenes war, es ist schön, daß ich Klavier spielen kann und ein KafkaManuskript besitze, aber das alles ist lediglich ein Abschweifen von dem Weg, der uns zu unserem Ziel fuhrt. Dieses Abschweifen ist vermutlich ein Teil des Zaubers, aber es ist der Teil, ohne den ich mich viel besser fühlen würde, wenn es denn möglich wäre, auf ihn zu verzichten. Der einzige Zauber, den es braucht, ist Sex. Finden Männer Frauen immer noch so bezaubernd, wenn Sex keine Rolle mehr spielt? Findet irgend jemand irgendeinen anderen, ganz gleich welchen Geschlechts, so bezaubernd, wenn Sex zwischen den beiden keine Rolle spielt? Von wem sonst ist man so bezaubert? Von niemandem.
    Sie denkt: Ich sage ihm, wer ich bin. Er interessiert sich dafür, wer ich bin. Das stimmt, aber ich bin neugierig, wer sie ist, weil ich mit ihr vögeln will. Ich brauche dieses große Interesse für Kafka und Velazquez nicht. Ich unterhalte mich mit ihr und denke: Wie lange muß ich das noch durchhalten? Drei Stunden? Vier? Bin ich bereit, acht Stunden weiterzumachen? Zwanzig Minuten Verschleierung, und schon frage ich mich: Was hat das alles mit ihren Brüsten zu tun, mit ihrer Haut, mit ihrer Haltung? Die französische Kunst des Flirts bedeutet mir nichts, der wilde Trieb hingegen sehr viel. Nein, hier geht es nicht um Verführung. Hier geht es um ein Lustspiel. Es geht um ein Lustspiel, in dem eine Verbindung hergestellt wird, die nicht die Verbindung ist und nicht einmal ansatzweise mit der Verbindung konkurrieren kann, welche ganz und gar kunstlos von der Lust hergestellt wird. Hier geht es um die sofortige Konventionalisierung, um das unverzügliche Finden von Gemeinsamkeiten, um den Versuch, Lust in etwas gesellschaftlich Angemessenes zu verwandeln. Dabei ist es gerade die radikale Unangemessenheit, die sie zu Lust macht. Nein, hier wird nur der Kurs bestimmt - allerdings nicht voraus, sondern zurück zum elementaren Trieb. Man sollte die Verschleierung nicht mit dem verwechseln, was jetzt ansteht. Gewiß, es könnte sich auch etwas anderes entwickeln, doch das hat nichts mit dem Aussuchen von Vorhängen und Steppdecken zu tun oder mit dem Eintritt in die Gemeinschaft derer, die die Evolution voranbringen. Die Evolution kommt auch ohne mich zurecht. Ich will mit diesem Mädchen vögeln, und ich werde mich wohl mit einer gewissen Verschleierung abfinden müssen, doch diese ist ein Mittel zum Zweck. Wieviel davon ist Gerissenheit? Ich würde gern sagen: alles.
    »Sollen wir mal zusammen ins Theater gehen?« fragte ich sie. »O ja, sehr gern«, sagte sie, und zu diesem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, ob sie allein war oder einen Freund hatte, doch es war mir auch gleichgültig, und zwei, drei Tage später - das alles war 1982, vor acht Jahren - schickte sie mir eine Karte, auf der stand: »Es war wunderbar, zu Ihrer Party eingeladen zu sein, Ihre schöne Wohnung und beeindruckende Bibliothek zu sehen und ein Manuskript von Franz Kafka in den Händen zu halten. Sie waren so liebenswürdig, mich mit Diego Velázquez bekannt zu machen...« Sie hatte nicht nur ihre Adresse, sondern auch ihre Telefonnummer angegeben, und so rief ich sie an und schlug einen gemeinsamen Abend vor. »Hätten Sie nicht Lust, mit mir ins Theater zu gehen? Sie kennen ja meine Arbeit. Ich muß fast jede Woche ins Theater, und ich bekomme

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