Das sterbende Tier
immer zwei Karten. Vielleicht möchten Sie mich begleiten.«
Also aßen wir in der Stadt zu Abend und sahen uns das Stück an, das sehr uninteressant war, und ich saß neben ihr und warf Blicke auf ihr wunderschönes Dekollete und ihren wunderschönen Körper. Sie hat BH-Größe D, diese Herzogin, wirklich große, schöne Brüste und eine sehr weiße Haut, eine Haut, die man in dem Augenblick, da man sie sieht, ablecken möchte. Im Theater, im Dunkeln, war die Kraft ihrer Reglosigkeit enorm. Was könnte in dieser Situation erotischer sein als die scheinbare Abwesenheit jeglicher erotischer Intention in einer erregenden Frau?
Nach dem Stück schlug ich vor, irgendwo etwas zu trinken, doch es gab da einen Nachteil. »Weil ich im Fernsehen auftrete, erkennen mich die Leute, und ganz gleich, wohin wir gehen, ins Algonquin oder ins Carlyle oder wohin auch immer - es könnte sein, daß sie aufdringlich werden.« »Ich habe schon bemerkt«, sagte sie, »daß die Leute sich nach uns umgesehen haben, im Restaurant und im Theater.« »Und hat es Ihnen etwas ausgemacht?« »Ich weiß es nicht. Es ist mir nur aufgefallen. Ich habe mich gefragt, ob es Ihnen etwas ausmacht.« »Es ist nicht zu ändern«, sagte ich. »Das gehört zu diesem Job.« »Wahrscheinlich haben sie gedacht, ich sei ein Groupie.« »Sie sind alles andere als ein Groupie«, versicherte ich ihr. »Aber trotzdem haben diese Leute das bestimmt gedacht. ›Da ist David Kepesh mit einem von seinen kleinen Groupies.‹ Sie denken, ich bin irgendein dummes kleines Mädchen, das sich hat beeindrucken lassen.« »Und wenn sie das tatsächlich denken?« fragte ich. »Ich weiß nicht, ob mir das gefallen würde. Ich möchte gern meinen College-Abschluß haben, bevor meine Eltern ihre Tochter auf Seite sechs der Post sehen.« »Ich glaube nicht, daß Sie sich auf Seite sechs der Post wiederfinden werden. Das wird nicht geschehen.« »Das hoffe ich sehr«, sagte sie. »Wenn Ihnen das Sorgen macht, könnten wir dieses Problem vermeiden, indem wir zu mir gehen, in meine Wohnung. Wir können ja auch dort etwas trinken.« »Gut«, sagte sie, allerdings erst nach einem Augenblick stillen, ernsthaften Nachdenkens. »Das ist wahrscheinlich eine bessere Idee.« Keine gute Idee, nur eine bessere.
Wir gingen in meine Wohnung, und sie bat mich, Musik aufzulegen. Für sie wählte ich meist leichte klassische Musik aus: Trios von Haydn, das Musikalische Opfer, dynamische Sätze aus Beethoven-Symphonien, Adagio-Sätze von Brahms. Beethovens Siebte gefiel ihr besonders, und an den folgenden Abenden gab sie zuweilen dem unwiderstehlichen Drang nach, aufzustehen und ihre Arme spielerisch zu schwenken, als sei nicht Bernstein der Dirigent, sondern sie. Es war überaus erregend zu sehen, wie ihre Brüste sich unter der Bluse bewegten, während sie, nicht unähnlich einem sich produzierenden Kind, so tat, als gebe sie mit ihrem unsichtbaren Taktstock die Einsätze, und wer weiß - vielleicht war daran überhaupt nichts Kindliches, vielleicht wollte sie mich mit diesem Dirigentenspiel erregen. Es kann nämlich nicht lange gedauert haben, bis ihr dämmerte, daß sie sich täuschte, wenn sie wie eine junge Studentin weiterhin glaubte, es sei der ältere Lehrer, der die Fäden in der Hand hielt. Denn beim Sex hat die absolute Stasis keinen Sinn. Es gibt keine sexuelle Gleichheit, es kann sie gar nicht geben, und ganz gewiß nicht eine Gleichheit, bei der die Verteilung genau ausgewogen und der männliche Quotient exakt so groß wie der weibliche ist. Diese ungezähmte Sache läßt sich nicht berechnen. Hier gibt es kein fifty-fifty wie bei einer geschäftlichen Transaktion. Wir sprechen hier vom Chaos des Eros, von der radikalen Destabilisierung, die das Wesen der sexuellen Erregung ist. Beim Sex ist man wieder im Urwald. Man ist wieder im Sumpf. Beim Sex geht es darum, daß die Dominanz wechselt, es geht um fortwährendes Ungleichgewicht. Wollen Sie Dominanz ausschließen? Wollen Sie Nachgiebigkeit ausschließen? Dominanz ist der Feuerstein, sie schlägt den Funken und setzt alles in Gang. Und dann? Geben Sie acht. Sie werden schon sehen. Sie werden sehen, wohin das Dominieren führt. Sie werden sehen, wohin das Nachgeben führt.
Manchmal - wie auch an jenem Abend - legte ich ein Dvorák Streichquartett auf, eine elektrisierende Musik, leicht wiederzuerkennen, leicht zu verstehen. Sie mochte es, wenn ich Klavier spielte, denn das schuf eine Atmosphäre der Romantik und Verführung, die ihr
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