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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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ebenso gefiel wie mir. Die einfacheren Preludes von Chopin. Schubert, etwas aus den Moments Musicaux. Ein paar Sätze aus den Sonaten. Nichts besonders Schwieriges, aber Stücke, die ich geübt hatte und nicht allzu schlecht hinbekam. Auch jetzt, da ich besser geworden bin, spiele ich gewöhnlich nur für mich selbst, aber es war schön, für sie zu spielen. Es gehörte zu diesem Rausch - für uns beide gehörte es dazu. Es ist sehr komisch, ein Instrument zu spielen. Manches fällt mir inzwischen ganz leicht, aber in den meisten Stücken gibt es noch immer Passagen, die mir Schwierigkeiten bereiten, Schwierigkeiten, die zu lösen ich mich in all den Jahren, in denen ich ohne Lehrerin und nur für mich selbst spielte, nie bemüht hatte. Wenn ich damals mit einem Problem konfrontiert war, dachte ich mir irgendeine idiotische Methode aus, um es zu lösen. Oder ich löste es eben nicht - bestimmte Arten von Sprüngen, bestimmte komplizierte Bewegungen von einem Teil der Klaviatur zum anderen, bei denen man sich geradezu die Finger brechen kann. Als ich Consuela kennenlernte, hatte ich noch keine Lehrerin und behalf mich mit all den idiotischen Improvisationen, die ich als Lösungen für diese technischen Probleme erfunden hatte. Ich hatte nur als Kind ein paar Klavierstunden bekommen, und bevor ich mir vor fünf Jahren eine Lehrerin suchte, war ich im Grunde ein Autodidakt. Sehr wenig Anleitung. Wenn ich ernsthaft Unterricht gehabt hätte, müßte ich heute nicht so viel üben. Ich stehe früh auf und verbringe bei Tagesanbruch zwei, wenn möglich zweieinhalb Stunden damit, zu üben - mehr kann man kaum tun. Allerdings lege ich manchmal, wenn ich an einem bestimmten Stück arbeite, später noch einmal eine Übungsstunde ein. Ich bin gut in Form, aber nach einer Weile werde ich müde. Sowohl geistig als auch körperlich. Ich besitze einen gewaltigen Stapel Noten, die ich durchgearbeitet habe. Das ist ein Fachausdruck - ich meine damit nicht, daß ich sie gelesen habe, wie man Bücher liest. Ich habe sie am Flügel durchgearbeitet. Ich habe viele Noten gekauft, ich habe jede Menge Klaviernoten, und früher habe ich sie gelesen und gespielt, und zwar schlecht. Manche Passagen vielleicht auch nicht so schlecht. Um herauszufinden, wie das Stück aufgebaut war, und so weiter. Ich war nicht besonders gut, aber es hat mir einiges Vergnügen bereitet. Und um Vergnügen geht es hier. Wie man sein bescheidenes, privates Vergnügen ein Leben lang ernst nehmen kann.
    Der Klavierunterricht war ein Geschenk, das ich mir zum fünfundsechzigsten Geburtstag dafür gemacht habe, daß ich endlich über Consuela hinweggekommen war. Und ich habe große Fortschritte gemacht. Inzwischen spiele ich ziemlich komplizierte Stücke: Brahms-Intermezzi, Schumann, eine schwierige Chopin-Prelude. Ich versuche mich auch an einer äußerst schwierigen, die ich noch immer nicht gut spiele, aber ich arbeite daran. Wenn ich voller Verzweiflung zu meiner Lehrerin sage: »Ich kriege es einfach nicht hin. Wie löst man ein solches Problem?«, antwortet sie: »Indem man die Passage tausendmal spielt.« Wie alle erfreulichen Dinge hat auch dies also seine unerfreulichen Aspekte, aber meine Beziehung zur Musik hat sich vertieft, und das ist für mein Leben jetzt von sehr großer Bedeutung. Es ist klug, das jetzt zu tun. Wie lange werden junge Frauen für mich noch erreichbar sein?
    Ich kann nicht behaupten, daß mein Klavierspiel Consuela so erregte, wie ihr gespieltes Dirigieren der Beethoven-Symphonie mich erregte. Ich kann nicht behaupten, daß irgend etwas, was ich tat, Consuela sexuell erregte. Das ist auch hauptsächlich der Grund, warum ich nach dem Abend vor acht Jahren, als wir zum erstenmal miteinander ins Bett gingen, keine ruhige Minute hatte, warum ich - ob es ihr bewußt war oder nicht - fortan ganz schwach und ständig besorgt war, warum ich mich nicht entscheiden konnte, ob die Lösung darin bestand, öfter oder weniger oft oder gar nicht mit ihr zusammenzusein, mich also von ihr zu trennen - das Undenkbare zu tun und mit Zweiundsechzig freiwillig eine bezaubernde Frau von Vierundzwanzig aufzugeben, die Hunderte Male zu mir sagte: »Ich bete dich an«, die sich aber nie, nicht einmal in heuchlerischer Absicht, überwinden konnte zu flüstern: »Ich will dich, ich begehre dich so, ich kann ohne deinen Schwanz nicht leben.«
    Nein, das sagte Consuela nicht. Und das war der Grund, warum die Angst, ich könnte sie an einen anderen verlieren, mich nie

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