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Das stille Gold der alten Dame

Das stille Gold der alten Dame

Titel: Das stille Gold der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Malet
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Rängen
wimmelte es schon von Zuschauern. Ich überquerte den grünen Rasen. Von Gras
allerdings keine Spur: nur Asphalt und Kies. Durch einen Tunnel erreichte ich
meine Tribüne. Ich ging eine Weile auf dem Rasen — wirklichen Rasen! — auf und
ab, der die Zuschauer von der Rennbahn trennt. Wenn Lassere schon da war, konnte er mich sehen. Mein Fernglas wollte ich nicht in Aktion
treten lassen, um die Zuschauerreihen zu durchkämmen. Auch ‘ne Menge Frauen saß
da. Zeigten ungeniert ihre Beine (und noch einiges mehr). Mit dem Fernglas in
der Hand hätte man mich noch für einen Voyeur halten können. Nach ‘ner Weile
stellte ich mich in die Schlange vor einem Wettschalter. Ich setzte zweihundert
Francs auf Ubu V. Dann ging ich über die breite
Steintreppe zu meinem Platz. Von abgebrannten Streichhölzern und
Zigarettenkippen abgesehen, waren die Stufen sauber. Nach dem Rennen würden sie
übersät sein mit den Wettabschnitten der Leute, die verloren hatten. Auf den
Zuschauerrängen herrschte munteres Treiben. In einer Art Geheimsprache wurden
die letzten Tips ausgetauscht. Und das alles nur, um
hinterher ein paar Francs zu kassieren oder seinen Zettel wütend auf den Boden
zu pfeffern! Überschwenglich wurden Loblieder auf
bestimmte Pferde oder Ställe gesungen. Schweigend brüteten noch einige über
ihren Zetteln, Bleistift in der Hand. Die letzten Kreuzchen wurden gemacht.
    Und dann verkündete eine Stimme aus
dem Lautsprecher: „Die Jockeys sitzen auf!“ Sofort verstummten die
Unterhaltungen. „Die Pferde gehen an den Start.“
    Alle Köpfe drehten sich zu dem Weg
zwischen Wiegeplatz und Rennbahn. Im Gänsemarsch trippelten die Konkurrenten
zum Start, von krummbeinigen Stallburschen an den Zügeln geführt, auf dem
Rücken die kleinen Männchen mit ihren bunten Trikots. Wirklich hübsch, der
Aufmarsch. Alle — Stallburschen, Jockeys und Pferde — schienen stolz zu sein,
im Mittelpunkt von Tausenden von Zuschauern zu stehen. Jedes Pferd wurde mit
erregtem Gemurmel begrüßt. Namen und Zahlen wurden gerufen. Ein Gaul tänzelte
aus der Reihe. Mein Nachbar brummte sich was in den Bart. Die kleine
Sondereinlage schien ihm nicht zu gefallen. Ich sagte nichts. Das Pferd trug
die Nummer 5 und damit meine Hoffnungen.
    Die Startboxen befanden sich direkt
vor unserer Tribüne.
    „Die Pferde nehmen ihre Startplätze
ein“, röhrte es aus dem Lautsprecher.
    Das starting -gate hob sich abrupt, und ab ging’s! Die Pferde stürmten los. Die Zuschauer gerieten
ebenfalls in Bewegung. Gebrüll erfüllte die Luft. Ein Pferd wußte
offensichtlich nicht, was man von ihm erwartete. Schon nach wenigen Metern
wurde es hoffnungslos abgehängt. Die Anfeuerungsrufe der Zuschauer, die auf den
lahmen Klepper gesetzt hatten, nützten nichts. Der Anschluß ans Feld war verpaßt.
    „Sehen Sie sich diesen Versager an“,
ereiferte sich mein Nachbar. „Diesen Traumtänzer! ...“ Er benutzte seine Hände
als Schalltrichter. „Los, beweg deine Hufe, du lahme Kuh!“
    Adieu, Pferdchen, Kuh oder Kalb! Adieu
Gewinn! Der Traumtänzer im Schneckentempo war die Nummer 5. Na ja, für
zweihundert Francs würde ich mich schon nicht aufregen. Das Rennen ging weiter.
Auf der Bahn wurde gerannt, auf den Rängen ge -schrien,
daß es nur so ‘ne Freude war. Vor mir stand eine Blondine auf der Sitzbank.
Gestikulierte und trampelte wie ‘ne Verrückte.
    „Los, Amfortas !“
schrie sie. „Renn, Liebling, renn! Ich geb dir ‘n
Kuß, hinterher. Amfortas !“
    Amfortas nahm die Beine in die Hand und machte
das Rennen. Die Verrückte beruhigte sich, viele waren enttäuscht. Die Blonde
drehte sich zu mir um, packte mich an den Revers. Eine junge hübsche Blondine
mit strahlenden Augen.
    „Was hab ich Ihnen gesagt?“ brüllte
sie mich an. Sie hatte mir nie irgend
etwas gesagt. Aber das machte nichts. Auf Rennplätzen herrscht
immer eine eigenartige Vertrautheit. „ Amfortas !
Schreibt es an die Tafel!“ Sie zeigte auf die Anzeigetafel. „Fünfzig zu eins
hat er gemacht, mein kleiner Liebling...“ Damit meinte sie wohl das Pferd. „Fünfzig
zu eins. Hab ‘n Tausender drauf gesetzt. Sie auch, M’sieur ?“
    „Ich habe auf Ubu V. gesetzt“, sagte ich.
    „Was? Sie müssen wohl zum Arzt, M’sieur ! Ubu V.!“
    So plauderten wir noch ‘n Weilchen.
Die Kleine war herzerfrischend. Und ich konnte was Herzerfrischendes
gebrauchen. Sie gab mir noch einen heißen Tip fürs
zweite Rennen. Ich ging nach unten, um fünfhundert Francs auf Sieg zu

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