Das stille Gold der alten Dame
gelesen. Und ein Buch von Oberst Remy über die Bande aus der Avenue
Henri-Martin. Und heute morgen hab ich das hier gelesen.“
Er reichte mir eine
literarisch-politisch-satirische Wochenzeitung. Ein Artikel war blau
angestrichen. Ich las:
VERBRECHEN ZAHLEN SICH NICHT AUS. — In
dieser Woche hat eine blutige Nachricht das Viertel La Muette erschüttert. Ein junges Mädchen aus gutem Hause hat — offenbar unter
mysteriösen Umständen — den Chauffeur der Familie umgebracht. Wie wir erfahren
haben, ist die Tante des Mädchens keine andere als eine gewisse Madame A. (Name
der Redaktion bekannt). Diese Madame A. hat nach der Befreiung 1945 nur deshalb
keine Schwierigkeiten bekommen, weil sie Maulin ,
ihren Liebhaber, Gehilfe von Masuy , wie ein Stück
Vieh verraten hat. Liegt ein Fluch über ihr? Werden wir tatsächlich von unseren
Taten eingeholt? Ziehen schwere Verbrechen immer noch schwerere nach sich?
„Ziemlich bissig, aber interessant“,
sagte ich. „Wenn das überhaupt stimmt.“
„Es stimmt“, bestätigte Zavatter . „Hab’s vorher in den Prozeßprotokollen gelesen. Bei der Verhandlung hat Maulins Anwalt mehr
oder weniger Klartext geredet. Seinem Mandanten hat das allerdings nichts
genützt. Der wurde am 1. Oktober 1947 in Montrouge hingerichtet, zusammen mit Masuy und zwei weiteren
Kollegen. Vor dem Erschießungskommando haben sie die üblichen Sprüche
losgelassen. ,Frankreich wird wieder schön!’, hat ein
Optimist gebrüllt. Darauf Masuy : ,Ein schönes
Frankreich!’ Maulin hat beteuert: ,Ich vergebe allen, die mir vergeben haben!’ ( Oder ,gegeben’ ,
die Zeitungen sind sich da nicht so ganz einig).,Schießt aufs Herz, Jungs, und
zielt gut. Mein Herz ist viel wert!’ Ein kleiner Witzbold.“
„Was ist denn so witzig daran?“ fragte
ich.
„Ja, wirklich“, wunderte sich auch
Hélène.
„Sein Herz war überhaupt nichts wert“,
erklärte Zavatter . „Er war herzkrank.“
„Herzkrank? Bei dem Beruf? Ein Meister
des doppelten Spiels, was?“
„Ich erzähle Ihnen nur, was ich in den
Zeitungen von damals gelesen habe. Und da stand, er sei herzkrank gewesen und
seine Erklärung habe nichts zu sagen gehabt. In der Erregung habe er wohl
dummes Zeug gequatscht.“
„Hm...“, brummte ich. „Mir fehlt immer
noch das Mosaik-steinchen, das ich die ganze Zeit suche.“
„Vielleicht hab ich’s ja gefunden“,
fuhr Zavatter fort und holte seine Notizen raus. „Ein
langer Text von Oberst Rémy über Masuy . Also, er
schreibt: ,In Fresnes aß Masuy mit ausgezeichnetem Appetit... Er lächelte, wie seine
Wärter berichteten. Schien auf etwas zu warten. Worauf? Sein Bericht... — er
hatte einen Bericht verfaßt — ... spielte auf die
Möglichkeit an, einen Schatz zurückzubekommen, Louisdors, Devisen, internationale
Aktien, Edelsteine; insgesamt ein Wert von eineinhalb Milliarden Francs...’
Französische Francs von 1947!“
„Großer Gott!“ rief ich. Bald wär mir
die Pfeife aus dem Mund gefallen. „Das ist das letzte Steinchen im Mosaik! Der
Schatz der Abwehr\“
„Immer langsam!“ sagte Zavatter . „Wenn Sie sich die Schätze an Land ziehen und
mich damit bezahlen wollen, bin ich reif für die Volksküche. Hören Sie erst mal weiter: ,Mehrere Anzeichen
sprechen dafür, daß einflußreiche Kreise daran
interessiert waren, Masuy so schnell wie möglich für
immer verstummen zu lassen. Bleibt noch zu sagen, daß Masuys Andeutungen über den zu hebenden Schatz auf fruchtbaren Boden gefallen sind...’
Geier gibt es überall, zu jeder Zeit. Ich kenne mehr als einen, der heute als
reicher Mann in Paris lebt...“
„Ja“, sagte ich. „ Masuy ist mir übrigens etwas egal. Ruhe in Frieden, wie Faroux sagte. Aber dieses
letzte dunkle Eckchen hat mich die ganze Zeit gequält. Jetzt ist mein Kopf
frei. Ich kann mich voll und ganz auf die Kleine konzentrieren, auf Suzanne.
Sie ist nämlich tatsächlich unschuldig. Lasserre war
ehrlich, jedenfalls in diesem Punkt. Und darum haben ihn seine Freunde
abgeknallt. Aber, verdammt! Noch bin ich nicht überm Berg!“ Wir standen auf.
Der Mensch ließ noch immer sein Karussell samt Orgel drehen. Die weißen Hasen
und Schwäne schienen von den asthmatischen Tönen ganz verzückt.
„Seltsam, die letzten Worte von diesem Maulin “, sagte ich nachdenklich. „In solch
feierlichen Augenblicken läßt man im allgemeinen keine
lockeren Sprüche ab. Wenn das nun... ein Zeichen war? Eine Warnung? Eine
Botschaft?“
„Hm...“, machte
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