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Das stille Gold der alten Dame

Das stille Gold der alten Dame

Titel: Das stille Gold der alten Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Malet
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dahinter
aufragte, wahrscheinlich in der Rue des Bauches.
    Ich fuhr weiter. Ganz in der Nähe
eines Eingangs zum Viertel Boulainvilliers parkte ich
meinen Wagen, sah auf die Uhr und ging dann zu Fuß wieder zurück. Ich läutete
an der Gartenpforte. Ein Butler öffnete mir. Nicht mehr ganz jung,
distinguiert, weißes gestärktes Hemd unter der gestreiften Weste. Er öffnete so
prompt, als hätte er auf mein Kommen gelauert.
    „Guten Tag, Monsieur“, sagte er.
    „Guten Tag. Nestor Burma mein Name.“
    „Ja, Monsieur. Wenn Monsieur mir
folgen wollen...“
    Er sprach leise, so als hätte er einen
Kranken zu hüten oder als fürchtete er, die provinzielle Stille zu stören. Aber
vielleicht lag’s auch nur am Alter. Wir gingen über einen knirschenden Kiesweg
auf das Haus zu. Der steinerne Treppenaufgang war verziert wie der Eingang Zu
einer Metrostation. Unten an der Treppe stand eine nackte Frau mit üppigem
Busen, an den sie eine Lyra drückte. Offensichtlich wußte sie nicht, was sie
mit dem Ding anfangen sollte. Wie die Treppe war auch die Frau aus Stein.
    Dann betraten wir eine dunkle
Vorhalle. Die Bilder an den Wänden waren auch nicht viel heller. Durch einen
schmalen Flur gelangten wir zu einer weiteren Treppe (einer viel schmaleren
diesmal!). Endlich stand ich in einem altmodischen, aber ganz hübschen Zimmer,
das mit Stilmöbeln und Nippes vollgestopft war. Von draußen streichelte der
Zweig eines Baumes das Fenster.
    In einem Sessel saß Madame Ailot. Mit
ihren etwas über fünfzig Jahren hatte sie nicht mehr Falten im Gesicht, als es
das Zeitalter der Schönheitschirurgie erlaubte. Alles an ihr war in Grau gehalten,
passend zur Augenfarbe. Nur die Haare schimmerten bläulich. Die Frau sah aus
wie eine reife, sympathische, etwas müde Dame. Allerdings mit ‘nem Schuß Madame Jordonne .
    Eine gute halbe Minute sahen wir uns
an und nahmen Maß. Sie in ihrem Sessel, ich vor ihr stehend, den Hut in der
Hand und eine wahnsinnige Lust zu rauchen im Mund. So was packt mich immer,
wenn ich den Eindruck habe, daß meine Pfeife schlecht ins Bild paßt. Eine halbe
Minute musterten wir uns schweigend. Endlich räusperte sich Madame Ailot. Sie
ließ noch ein paar Sekunden in die Ewigkeit versinken. Dann sagte sie mit
zarter Stimme:
    „Sie sind also Monsieur Burma?“
    Ich verbeugte mich.
    „Jawohl, Madame. Nestor Burma.“
    „Ich habe gehört, Sie sind ein
tüchtiger und diskreter Detektiv.“
    Wieder eine Verbeugung meinerseits.
    „Tüchtig und diskret“, zählte sie noch
einmal meine Tugenden auf. „Auch schnell?“
    „Kommt drauf an, Madame.“
    „Ich erwarte keine Wunder von Ihnen.
Aber es muß schnell gehen. Übrigens gibt es keinen Grund dafür, daß die Sache
nicht schnell erledigt werden könnte. Setzen Sie sich.“
    Ohne sich in ihrem Sessel zu bewegen,
wies sie mit einer schönen weißen Hand auf einen Stuhl. Vorsichtig, ganz
vorsichtig setzte ich meinen Hintern auf das gute Stück. Die zarten Beine und
die kunstvolle Rückenlehne dieses Sitzmöbels flößten mir kein großes Vertrauen
ein. Ich wieg zwar keine Tonnen, aber ich fragte mich doch, ob ein so
zierliches und zerbrechliches Sammlerstück einen Mann wie mich aushalten würde.
Ich wagte den Versuch: der Stuhl hielt mich aus.
    „Es geht um folgendes“, fuhr Madame
Ailot nach einem tiefen Seufzer fort. (Vielleicht fürchtete auch sie um ihren
Stuhl!) „Mir ist sehr wertvoller Schmuck gestohlen worden. Ich möchte ihn gerne
ohne großes Aufsehen wiederbekommen. Ich weiß, wer ihn gestohlen hat, und ich
möchte...“
    Ihre Stimme versuchte, einen harten,
autoritären Ton anzuschlagen; aber ihr Herz spielte nicht mit.
    „...Ich möchte, daß Sie den Mann
treffen... und ihm begreiflich machen, daß ihm die Beute nichts einbringen
wird. Wie gesagt, ich möchte keinen Skandal erregen, aber wenn er mir keine
Wahl läßt... Damit will ich sagen: wenn er versucht, den Schmuck zu
verkaufen... dann werde ich nicht zögern, Maßnahmen zu ergreifen. Ich will ihm
wohl zugestehen, daß er in einem Moment geistiger Verwirrung gehandelt hat, und
bin bereit, ihm zu verzeihen. Aber...“
    Sie schwieg. Ein Blatt des
Kastanienbaums streifte die Fensterscheibe, und ich sah zu. Meine Gastgeberin
fuhr fort:
    „Zu diesem Treffen..
    Ich überließ Blatt und Fensterscheibe ihrem
Spiel und richtete meine gesamte Aufmerksamkeit wieder auf Madame Ailot.
    „...könnte ich zur Not auch selbst
gehen. Obwohl es sich nicht mit meiner Würde vereinbaren läßt. Oder ich

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