Das stille Gold der alten Dame
mehr wiedergesehen.
Nachgang
Das sich in den tiefen Südwesten von
Paris erstreckende Viertel zwischen Triumphbogen, Seine und Bois de Boulogne gilt (zu Recht) als teuer und (nicht ganz zu
Recht) als völlig versnobt und außerdem (zu Unrecht) als langweilig.
Sicher, es gibt die öde Avenue Marceau
oder die ebenso leb-und lieblose Avenue d’Iéna , in
deren stuckbeladenen feinen Häusern vornehme Leute zu vornehmen Preisen wohnen,
wo das Wort Bistro fast als Schimpfwort gilt, wo Geschäfte gemacht, aber selten
eröffnet werden, es seien denn Boutiquen oder Juwelier-Läden. Es ist die Gegend
der Botschaften und der großen Modehäuser. Am Rand der Straßen, die sich oft
Avenue oder Boulevard nennen, parken (oft vorschriftswidrig) Limousinen und
sehr viel Kabrios (oft nobel schwarz), wenn sie nicht nachts zuvor aufgebrochen
oder gestohlen wurden. Nicht nur sonntags tragen die Herren Krawatte und die
stets griffbereite Visitenkarte im Sakko, die Damen die Nase hoch und die
wenigen, meist bläßlichen Kinder, die unter der
besorgten Aufsicht von Au-Pair-Mädchen (meist ausländischer Herkunft) auf den
viel zu wenigen Spielplätzen dezent herumtollen, Bermuda-Shorts aus grauem
Flanell.
Soweit die Vorurteile all derer, die
nicht im 16 .
Arrondissement wohnen. Denn dies ist auch die Gegend, in der Proust geboren und
Victor Hugo gestorben ist, in der Balzac und Heine und James Joyce gelebt und
geschrieben, Wagner und Rossini komponiert, Edouard Manet und seine Schwägerin
Berthe Morsitot gemalt haben. Auteuil und Passy waren damals noch Dörfer vor der Stadt. Sie wurden erst im
vergangenen Jahrhundert eingemeindet. Dort also lag das stille Gold der alten
Dame.
Von der Place Charles de Gaulle (welch
anderen Platz in Paris hätte man dem legendären General zu weihen gewagt, wenn
nicht den berühmtesten!), von der Etoile also, auf
dem der Triumphbogen thront, enteilen sternförmig ein Dutzend durchweg breiter
Straßen in alle Himmelsrichtungen. Die neben den Champs-Elysées berühmteste ist die Avenue Foch. Nicht nur, als in den siebziger Jahren die
Opern-Diva Maria Callas starb und der Industrielle Baron Empain gekidnappt wurde, kam die breiteste Straße von Paris, deren mittlere Fahrbahn
allein 120 Meter mißt , weltweit in die Schlagzeilen.
Beidseitig der Avenue Foch gilt es noch eine Rasenfläche und jeweils eine
Zufahrtstraße zu überqueren, ehe man endlich zu den oft palastähnlichen Anwesen
gelangt.
Hinter den neugierigen Blicken stets
verschlossenen Fenstern verbirgt sich der Stoff, aus dem die Träume sind. Es
sind die Adressen von Direktoren und Diplomaten, Anwälten und Aristokraten,
Ministern und Modeschöpfern. Großbürger wohnen hier, sagen Spötter, aber auch
Spießbürger. Die Avenue Foch gilt als so vornehm, daß die wirklich Vornehmen
sie vornehmlich wieder meiden. Schließlich ist es auch die feinste Adresse der
Edel-Prostitution.
Napoleon III und der Baron Haussmann
wollten sie zur schönsten Straße der Welt machen. Eineinhalb Kilometer hinter dem
Are de Triomphe endet sie am Bois de Boulogne , dem
Stadtwald im Westen von Paris. Dort liegen die Tennisplätze von Rolland Garros
und die Pferderennbahnen von Longchamp und Autueil .
An der Pforte Dauphine führt eine
Treppe unter die Erde. Es ist die Endstation der Métro -Linie
2. Die letzte Station zugleich der im Jugend-Stil gehaltenen U-Bahn-Eingänge
des Art- Nouveau -Architekten Guimard .
Die anderen sind im Lauf der Jahre zerstört worden.
So wie das Sterbehaus von Victor Hugo,
Frankreichs — Molière und Balzac in Ehren — bis heute wohl populärsten
Schriftsteller. Der überzeugte, ja leidenschaftliche Republikaner, Sohn
freilich eines bonapartistischen Offiziers, hatte
durch seinen Widerstand gegen Napoleon III soviel Sympathie im Volk erworben, daß an seinem 80. Geburtstag mehr als eine halbe
Million Menschen an seinem Wohnhaus in der damals noch so benannten Avenue d’Eylau vorüberzogen. Die Popularität des greisen Dichters
war so groß, daß den Schülern an diesem Tag sogar der
Unterricht erlassen wurde. Vier Jahre später starb er und erhielt ein
Staatsbegräbnis. Das Haus aber, das seine letzte Wohnung beherbergte, wurde
zwanzig Jahre darauf abgerissen.
Das 16. Arrondissement ist ein überaus
literarisches Viertel. Marcel Proust zum Beispiel wurde hier geboren, in der
Rue Lafontaine, und er starb hier auch, in der Rue Hamelin .
Daß er sich in seinen letzten Lebensjahren fast nur noch von Kaffee ernährte,
hatte er mit
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