Das stille Qi Gong nach Meister Zhi-Chang Li: Innere Übungen zur Stärkung der Lebensenergie (German Edition)

von Wind und Wasser« oder Geomantie), ein System, nach dem Gebäude in einem harmonischen Verhältnis mit dem Verlauf von Himmels-Qi und Erd-Qi plaziert wurden.
    Die moderne Auffassung des Qi berücksichtigt diese umfassende Vorstellung bestenfalls nur noch am Rande. »Im Modernen Wörterbuch der chinesischen Sprache werden unter dem Stichwort Qi zwölf verschiedene Bedeutungen aufgeführt, die von Gas über Luft zu Emotion und zu seiner Bedeutung in der traditionellen chinesischen Medizin reichen.« [34]   Manche Autoren gehen heute so weit, das Qi als »elektromagnetische Energie« oder »elektrische Energie« zu bezeichnen. Wenn man die vielseitigen Aspekte und Wirkungsweisen des Qi betrachtet, kann man zwar sagen, dass es elektrische beziehungsweise elektromagnetische Energie beeinflusst, aber eine Gleichsetzung wäre völlig unsinnig.
    Man kann Analogien herstellen und Modelle ausdenken, um die Funktion des Qi zu beschreiben. Vom Standpunkt des chinesischen Denkens ist es jedoch nicht wichtig, ja nicht einmal sinnvoll, Qi zu konzeptionalisieren und zu fixieren. Wichtig ist, dass es in verschiedener Weise erfahrbar ist und, vor allem: dass es wirkt.
    Die Drei Schätze
    Das Qi umfasst – mit der unvermeidlichen Vereinfachung unserer sprachlichen Möglichkeiten ausgedrückt – drei Ebenen von Substanz oder Energie (in der chinesischen Vorstellung kann es das eine wie das andere sein). Diese Drei-in-Einem werden die Drei Schätze genannt, manchmal auch die Drei Blumen, die Drei Juwelen oder die Drei Kräuter.
Diese drei Energien sind ursprünglich ungetrübt, solange wir uns im Mutterschoß befinden. In ihrer reinen Form sind sie »ursprüngliche erzeugende Energie«, »ursprünglicher Dampf« und »ursprünglicher Geist«. Wenn wir die Luft der Erde atmen, sexuell aktiv werden, denken und abhängig werden von den Dingen der Welt, werden Jing, Qi und Shen unrein … Das Ziel des inneren alchimistischen Prozesses ist es, diese drei Energien zu sammeln und zu erneuern, sie zu veredeln und sie in den ursprünglichen Zustand zurückzuverwandeln. Den Prozess der Veredelung nennt man das Sammeln der drei Blumen (oder Kräuter) im Kessel; dieser Kessel ist der Schmelztiegel, in dem die Veredelung stattfindet. [35]  
    Jing, Qi und Shen sind neutrale Begriffe, die jeweils die gröbste wie die feinste Manifestation, die vordergründigste wie die tiefstgreifende Bedeutung beinhalten. Die lineare Art des Kategorisierens, wie sie uns vertraut ist, entspricht nicht dem viel weiträumigeren chinesischen Denken, und alle unsere Versuche, den ursprünglich viel eher poetischen als wissenschaftlichen Charakter des Qi-Begriffs in Schablonen zu pressen, reduziert unsere Möglichkeiten des Verständnisses. Das sollte bei der Beschreibung der Drei Schätze im Auge behalten werden.
    Der taoistische Adept Liu I-ming (19. Jh.) wehrt sich in seinem Kommentar zum »Goldenen Elixier« vehement gegen Tendenzen der materialistischen Verengung, die auch damals längst im Gange waren:
Die Drei Schätze sind keine physischen Dinge, sondern formlose Wirklichkeiten. Wie ein früher Adept sagte, ist die Lebenskraft (Jing) nicht die sexuelle Kraft, die Energie (Qi) ist nicht die Stoffwechselenergie, der Geist (Shen) ist nicht der denkende Geist. Obwohl sie drei sind, kehren sie doch alle zur einen, ursprünglichen Energie zurück; die drei verschmelzen zu einer Energie, und diese eine Energie differenziert sich in drei. [36]  
    Man kann jeden der Drei Schätze in drei Erscheinungsformen unterteilen: die grobe Form, die subtile Form und die kosmische Form. Die materialistisch-medizinische Auffassung, wie sie dem modernen »wissenschaftlichen Qi Gong« rotchinesischer Prägung zugrunde liegt, orientiert sich an der groben Form. Eine im echten Sinne ganzheitliche Medizin, die auch die psychologische Ebene miteinbezieht, orientiert sich an der groben und an der subtilen Form. Die spirituelle Auffassung umfasst alle drei Formen.
    Jing
    Jing wird üblicherweise als »Essenz« übersetzt und ist (wenn wir, mit gebührender Vorsicht, den Begriff »Energie« zu Hilfe nehmen wollen) die gestaltende Energie, die allem organischen Leben Struktur verleiht. Es ist die Wurzel des Lebens, die Energie des Wachstums und der Veränderung, eng verbunden auch mit den sexuellen Flüssigkeiten. Menschliches Leben entsteht dadurch, dass das Jing der Eltern miteinander verschmilzt. Die Eltern liefern die »angeborene Essenz« oder das »vorgeburtliche Jing«, das