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Das Stockholm Oktavo

Das Stockholm Oktavo

Titel: Das Stockholm Oktavo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Engelmann
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Langeweile, Lust, Verliebtheit und verschiedene Formen des Wahnsinns. Novitäten waren Teleskopfächer,
double-entente
, die sich in beide Richtungen öffnen ließen und zwei verschiedene Ansichten hatten (Henrik mochte vor allem die pornographische Variante), Cabriolet-Fächer, Surprise-Fächer mit Vexierbildern, Blätter mit Gucklöchern aller Art, Deckstäbe mit Uhr, Stäbe mit Thermometer und sogar einen Fächer mit einer Gemme am Dorn, die eine Prise Schnupftabak oder Arsen enthielt. Als Henrik seiner Frau den Fächer »Kassiopeia« zum Geburtstag schenkte, wurde er zum Kronjuwel ihrer Sammlung. Kassiopeia vereinte auf sich den Charakter unwiderstehlicher Autorität und das Novum eines geheimen Schaftes im exquisit gearbeiteten Mittelstab sowie Schönheit und die geheimnisvollen Bande einer Künstlerin mit ihrem Instrument. Die Uzanne und Kassiopeia passten zusammen wie eingeschworene Liebende auf einem zu kleinen Diwan, die wissen, wie sie sich bewegen müssen, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen.
    Mit der Zeit baten die Damen der Stadt die Baroness, ihnen ihre Geheimnisse zu enthüllen; die Uzanne aber wusste, dass Wissen wertvoll war. Schon bald bezahlten die Töchter aus den Adelshäusern von nah und fern teuer für ihren Unterricht. Unter ihrer Anleitung konnten Mütter zusehen, wie ihre Töchter sich allmählich als raffiniert und schlau erwiesen und selbst in der schillerndsten Gesellschaft auf dem Kontinent in der Lage waren, zu brillieren. Nicht selten wurde ihnen die Ehe angetragen. Die Mädchen sahen sich einer langen Schlange von Freiern gegenüber, Offiziere drückten sich in ihren dunkelblauen Uniformen und nach Kölnischwasser duftend an sie, Diplomaten flüsterten ihnen unübersetzbare Worte ins Ohr, Edelleute wagten es, ihre Hände, Brüste, Schenkel zu berühren und ihre Lippen mit der Zunge zu teilen, sie zu öffnen wie einen Fächer von der Hand einer Expertin: langsam, ganz langsam, bis er so weit offen ist, dass er zu reißen droht. Doch ein Regiment Freier war gar nichts – die Uzanne wusste, dass der Fächer weitaus größere Macht hatte.
    Nach vielen Jahren des Studiums und der Übung war sie in der Lage, den Informationsfluss in jedem beliebigen Raum mit dem Fächer zu steuern. Sie konnte einem unbeabsichtigten Ohr eine Nachricht zukommen lassen oder sich selbst eine zufächeln, sie konnte die Aufmerksamkeit eines Einzelnen oder vieler mit einer leichten Veränderung des Winkels, der Geschwindigkeit und des Vorsatzes durch den Äther hindurch wecken. Es war eine umwerfende Kombination aus Kunstfertigkeit und Können, die als Visitenkarte, soziales Band und Statusanzeige fungierte. Doch es war auch ein perfektes Werkzeug für eine Frau, die an Spielen teilnehmen wollte, die normalerweise mächtigen Männern vorbehalten waren. Denn einen Fächer würde man niemals für eine Waffe halten.
    1789 waren die politischen Ziele von Henrik und der Uzanne in Reichweite. Nach Gustavs verheerendem Krieg mit Russland lag Schweden danieder, der Reichsrat stand im Verdacht des Ämterkaufs, und die Angst vor einer Revolution fachte den weitverbreiteten Wunsch nach einer Rückkehr zur Tradition an. Doch die Vereinigungs- und Sicherheitsakte – Staatsstreich und unblutige Revolution in einem – sahen die Uzanne und Henrik nicht voraus. Als Gustav die Führer der Adelspartei verhaften ließ, war alles verloren. Henrik erholte sich nie wieder von dieser Prüfung, obwohl er während seines Arrests auf Schloss Fredrikshof standesgemäß behandelt wurde. Im November desselben Jahres starb er an einer Lungenentzündung, und die Uzanne dachte, ihr Leben sei zu Ende. Fast einen Monat lang hütete sie das Bett, dann konnte Herzog Karl sie überreden, mit ihm und der jungen Herzogin zur Christmette zu gehen. Ein Jahr lang trug sie Schwarz, sie empfing nur wenige Besucher, weigerte sich, bei Hof zu erscheinen, und gab den Unterricht für die jungen Damen für immer auf. Doch in ihrer wachsenden Verdrossenheit über König Gustavs scheinbare Unbesiegbarkeit sowie über Herzog Karls unentwegte Ambivalenz gegenüber seinem Bruder, dazu in einem plötzlichen, unstillbaren Rachedurst begriffen, begab sich die Uzanne im Dienste ihrer Nation schließlich wieder aus ihrer Isolation heraus.
    1791 war sie bereits an den vielen Intrigen und Ereignissen in der Stadt beteiligt. Am 20 . Juni dieses Jahres, es war Mittsommer, besuchten die Uzanne und Kassiopeia ein Fest, das neben Politik auch das übliche Kartenspiel,

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