Das Stockholm Oktavo
aufsteigen.
Madame Sparv betrieb ihren Salon im zweiten Stockwerk eines alten Treppengiebelhauses in der Gråmunkegränd Nummer 35, verputzt im allbekannten Gelb der Stadt. Von der Straße betrat man es durch ein Steinportal, in dessen Scheitelstein ein aufmerksames Gesicht eingemeißelt war. Die Gäste behaupteten, die Augen würden sich bewegen, doch als ich in dem Haus war, bewegte sich nichts außer einer beachtlichen Geldsumme aus meiner Tasche heraus und in meine Tasche hinein. An diesem ersten Abend war mir vor Aufregung zugegebenermaßen ganz flau im Magen, aber als wir die gewundene Steintreppe hinaufstiegen und ins Foyer traten, fühlte ich mich ausgesprochen wohl. Die Atmosphäre war warm und gastlich, es gab hellen Kerzenschein und bequeme Stühle. Der Spitzel stellte mich Madame Sparv gebührend vor, ein Dienstmädchen reichte mir ein Glas Weinbrand von einem Tablett. Teppiche dämpften die Geräusche, die Fenster waren mit dunkelblauem Damast verhangen, sodass die Räume zu jeder Zeit in ein Dämmerlicht getaucht waren. Diese Stimmung kam sowohl den Spielern an den Tischen zugute als auch den Kunden, die auf eine Konsultation warteten, denn in einem privaten Gemach am Ende einer schmalen Stiege übte Madame Sparv auch die Kunst des Hellsehens aus. Sie beriete König Gustav, hieß es. Jedenfalls verhalf ihr dieses zweifache Geschick mit den Karten zu einem hübschen Einkommen und ihrer exklusiven Spielergemeinde zu einem zusätzlichen Schauder der Wonne.
Der Spitzel fand einen Tisch und einen dritten Mann, ich suchte gerade einen vierten Mitspieler, als ein grinsender Kerl mit fauligem Zahnfleisch ankam, dem Spitzel etwas ins Ohr flüsterte und dessen sonst steinigem Gesicht ein Lächeln abrang. Ich setzte mich, nahm eines von zwei Kartenspielen aus einer Schatulle und klopfte es ordentlich zusammen. »Gute Neuigkeiten?«, fragte ich.
»Kommt darauf an, für wen«, antwortete der Mann.
Der Spitzel setzte sich und klopfte auf den Stuhl neben sich. »Sie sind ein Königsfreund, nicht wahr, Herr Larsson?«
Ich nickte. Ich war ein glühender Royalist – genauso wie Madame Sparv, wenn man von den Porträts ausging, die im Foyer hingen: Gustav III . von Schweden und Ludwig XVI . von Frankreich.
Der Mann reichte mir die Hand, nannte mir seinen Namen, den ich gleich wieder vergaß, und schob seinen Stuhl an den Tisch. »Riddarhuset ist unter Waffen«, verkündete er. »König Gustav hat zwanzig führende Mitglieder der Patrioten verhaftet. General Pechlin, den alten von Fersen und sogar Henrik Uzanne.«
»Dann müssen sie ausnahmsweise ja mal etwas Bemerkenswertes getan haben«, sagte ich und mischte die Karten.
»Es geht um das, was sie nicht getan haben, Herr Larsson.« Der Mann mit dem fauligen Grinsen beugte sich vor und hob die Hand zum Zeichen, dass wir schweigen sollten. »Die Adelspartei hat die Unterzeichnung der königlichen Vereinigungs- und Sicherheitsakte verweigert. Sie ist empört über die Vorstellung, dass das gemeine Volk dieselben Rechte und Privilegien bekommen soll, die bislang dem Adel vorbehalten waren. Gustav hat der Adelspartei Einhalt geboten und verhindert, dass ihre ablehnende Haltung sich ausbreiten und der aufgeklärten Gesetzgebung ein Ende bereiten könnte. Die drei niederen Stände haben unterschrieben, Gustav hat unterschrieben. Die Akte ist nun Gesetz.«
Ich verharrte kurz mit den Karten in der Hand und beobachtete, wie die drei anderen Männer die Vision eines neuen Schwedens in ihren Köpfen wälzten.
»So eine Errungenschaft kommt anderswo nur durch blutige Revolutionen zustande«, sagte der Spitzel ehrfürchtig. »Gustav hat die Bedrohung mit dem Federkiel erstickt.«
»Erstickt?«, fragte der dritte Spieler und leerte sein Glas. »Der Adel wird sich zusammenschließen und mit Gewalt darauf antworten – so wie ’ 43 , so wie überall. Es geht in diesem Gesetz um die Einheit.«
»Und wo ist die Sicherheit?«, fragte ich. Da keiner etwas sagte, hielt ich die Karten hoch: »Boston Whist?«
Madame Sparv, die unserem Gespräch aufmerksam gelauscht hatte, nickte mir mit billigendem Blick zu – sie wollte das Thema Politik also eindeutig vertagt wissen. Ich teilte die Karten an vier Hände aus, weiße Rückseiten auf grünem Billardtuch.
»Wurde auch der Bruder des Königs festgenommen?«, fragte der Spitzel neugierig. »Karl ist neuerdings de facto Anführer der Patrioten.«
»Karl – Anführer?« Der Mann verzog das Gesicht. »Herzog Karl wechselt die
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